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Jan Grahn ist erfolgreicher Reisejournalist, stolzer Vater zweier Kinder und zufrieden mit seinem Leben. Doch von einem Tag auf den anderen zerbricht seine heile Welt. Auf einer Recherchereise in der algerischen Sahara stürzt er einen Tag vor dem Rückflug nach Deutschland mit dem Helikopter ab und überlebt den Unfall als einziger von vierzehn Insassen. Doch der Preis ist hoch. Mit achtzig Prozent Hautverbrennungen muss Grahn monatelang im Halbdunkel einer Spezialklinik bleiben und täglich gegen die Schmerzen und die Angst vorm Weiterleben ankämpfen.
"Zu weit draußen" heißt das neue Buch des Journalisten Johannes Groschupf. Auch wenn sein Protagonist Jan Grahn eine fiktive Person ist, sind die Bezüge zu Groschupfs eigenem Leben offensichtlich. Der Autor, der seit 1988 als freier Journalist unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit, die taz und den Norddeutschen Rundfunk arbeitet, verunglückte 1994 mit dem Hubschrauber und überlebte mit schweren Verletzungen. Für sein Radio-Feature "Der Absturz" erhielt er 1999 den Robert-Geisendörfer-Preis.
Auf 176 Seiten erzählt Groschupf in der Ich-Perspektive die Geschichte des Menschen Jan Grahn, der plötzlich im Leben vor einem Scherbenhaufen steht. Nach einem Jahr Krankenhausaufenthalt voller schmerzhafter Operationen und Prozeduren, ist auch bei seiner Rückkehr nach Berlin keine Hoffnung auf Besserung seiner Lebenssituation in Sicht. Die berufliche Zukunft ist unsicher, von menschlicher Seite begegnen ihm aufgrund seiner Entstellungen entweder Mitleid oder Abneigung, seine ohnehin schon vor dem Unfall angeknackste Ehe lässt sich nun gar nicht mehr kitten. Der früher so erfolgreiche Journalist lebt nun von Sozialhilfe und verbringt seine Tage mit gemeinnütziger Arbeit für das Gartenbauamt.
Ohne Theatralik berichtet Grahn von seinen Schwierigkeiten, wieder zurück ins normale Leben mit einem neuen Sinn zu finden. Dabei dringt der Erzähler emotional nicht weiter ein als nötig. Gemäß dem Motto "weniger ist oft mehr" verdeutlicht er auf intensive Weise, wie verlassen, desillusioniert und traurig sich immer wieder Jan Grahn fühlt. Beispielsweise äußert sich die Exfrau Kattrin Jan folgendermaßen gegenüber: "Vielleicht ist es besser, wenn du in eine Kleinstadt gehst, wo sich die Leute allmählich an dich gewöhnen können, ich meine, so, wie du jetzt aussiehst." Grahn ließ auf den Rücken fallen "und spürte, wie sich die Verbände verschoben und die Haut darunter schmerzte." Mit dieser Geste und den nachfolgenden Gedanken "Ich wollte zurück in die Wüste" ist dem Leser ohne weiteren starken Gefühlsäußerungen klar, wie verletzend eine solche Bemerkung auf den verbrannten Menschen wirken muss.
Mit viel Fingerspitzengefühl behandelt Groschupf auch immer wieder Grahns Konflikt, auf den Wunsch seiner Kinder einzugehen, mit ihnen ins Schwimmbad zu gehen. Der Protagonist schämt sich wegen seiner vielen Narben und wird sich dieser Herausforderung schließlich doch stellen, weil ihm seine Kinder zu Weihnachten eine silberne Badehose schenken. Marlene und Phil zeigen trotz kleiner Anlaufschwierigkeiten eine unglaubliche Annahme des "neuen" Vaters. Im Gegensatz zu vielen erwachsenen Freunden von Grahn sprechen Marlene und Phil ihn offen auf seine Verbrennungen an, haben kein Problem, ihren Vater zu berühren und schämen sich für ihn nicht vor anderen Kindern. Der Autor Groschupf widmet sein Buch "Zu weit draußen" übrigens "Pauline und Finn", und die Vermutung liegt wohl nicht so fern, dass es sich hier um seine eigenen Kinder handelt.
Insgesamt ist es Johannes Groschupf gelungen, ein sehr persönliches Buch zu schreiben, das zeigt, wie leicht ein Menschen von heute auf morgen sein Leben komplett umstellen muss und wie schwer es für Entstellte ist, in der Gesellschaft zurecht zu kommen. Hut ab für den Mut des Autors, einen so intimen Einblick zu gewähren und seine Erfahrung in einem packenden Schreibstil zu verarbeiten!