Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Bildqualität | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Zur Sommerfrische nach Sylt fuhr man schon in den zwanziger Jahren. Damals war die Insel der Nordsee vor allem bei der deutschen Avantgarde geschätzt und beliebt. Ernst Rowohlt, Max Frisch, Emil Nolde - alle waren sie da und bewunderten die wilde Natur aus Dünen, Brandung, Watt und einem scheinbar endlosen Strand. Man badete ohne alles und tanzte in den Dünen. Doch auch hier forderten der zweite Weltkrieg und der zunehmende Tourismus ihren Preis. Vieles, von dem im Buch begeistert berichtet wird, ist unwiederbringlich verloren, so wie auch die Insel selbst langsam Opfer der Fluten wird.
"Wo die Avantgarde baden ging", so lautet der Untertitel des vorliegenden Bändchens. Das Buch enthält Essays Kristine von SodensÂ’ über berühmte Gäste auf der Nordseeinsel Sylt. Es beginnt mit einer kurzen Einführung der Autorin und deren ersten Begegnung mit der Insel und endet mit einem Text über die Stiftung kunst:raum sylt quelle, die auch Feridun Zaiumoglu einmal beherbergte. Dazwischen finden sich Texte, wie sich etwa der Berliner Dichter und Herausgeber des Magazins "Der Kunstwart" Ferdinand Avenarius in Kampen niederlässt, man liest von Eiergerichten mit Speck in der Pension "Kliffende" und dem Friesenhaus von Peter Suhrkamp und seinen Gästen.
Zahlreiche Schwarzweißfotos von Wilma Bräuner und Zeichnungen etwa der Sylter Künstlerin Helene Vargas vermitteln auf anschauliche Weise ein Bild der Persönlichkeiten und der Stimmung auf der Insel. Anmerkungen, eine Danksagung der Autorin und ein Bildnachweis schließen das Buch ab.
Kristine von Soden, bekannt als Autorin kulturhistorischer Features und Reisereportagen, ist den Spuren von Malern, Schriftstellern, Schauspielern und Verlegern von den 20er bis zu den 60er Jahren gefolgt.
Erschienen ist das kleine gebundene Büchlein mit dem blauen Leinenrücken in der Serie Blue Notes der Edition Ebersbach. Blue Notes gehört zu den Buchreihen, die man sich am liebsten einmal komplett bestellen möchte, so ansprechend sind die Themen und die Ausstattung. Ähnlich wie die Blue Notes im Jazz widmen sie sich den eher schrägen und spannenden Zwischentönen der Literatur: Reportagen und Novellen, Briefwechsel, Biografien, Kochbücher. Hier jetzt flaniert die Avantgarde vergangener Zeiten im Inselparadies Sylt vorbei.
Anschaulich und beredt berichtet die Autorin von dem bunten Treiben auf der wilden "Windsbraut", die umarmt von den rauen Wogen der Nordsee vor der friesischen Küste liegt. Sie erzählt die Geschichte der Entdeckung dieser faszinierenden Insel im Ypsilon-Format, das immer mehr zum I-Format wird, berichtet von der Zeit während des Dritten Reiches, und auch, wo heute die Kunst auf Sylt Fuß fasst.
Die Essays basieren auf umfangreichen Recherchen, welche die Autorin auf Sylt und in den Archiven von etwa Max Frisch, dem Deutschen Literaturfond oder Privatbesitz unternommen hat. Sie enthalten zahlreiche Originalzitate der Künstler und Auszüge aus Veröffentlichungen, von den Illustrationen und Fotos war ja schon die Rede.
Die Quellen sind im Anhang dokumentiert und können gut als Ausgangspunkt genommen werden, möchte man sich mit dem einen oder anderen Künstler weiter beschäftigen.
Sehr gelungenes und unterhaltsames Buch über interessante Künstlerpersönlichkeiten sowie deren Urlaubsgewohnheiten, und eine spannendes Porträt einer Insel, die sogar zum Lebensgefühl einer Gesellschaftsschicht avancierte. Es stimmt gut ein auf die Epoche und den Zeitgeist der Kunstszene in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland. Es war die Zeit, bevor die Massen sich aufmachten nach Rimini oder Mallorca.