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Die Partei mit der Hundepeitsche

Er kaufte sich eine Hundepeitsche, und einen
kleinen, dazugehörigen Hund.
(Kurt Tucholsky)

Später, als das Dritte Reich längst zusammengebrochen und der fränkische Gauleiter und berüchtigte Publizist Julius Streicher wegen seiner "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" erhängt worden ist, bittet man verschiedene Menschen, diesen Julius Streicher zu schildern. Eine Volksschülerin, die ihn als Sechsjährige kennen lernte, berichtet dazu Folgendes:
" Er kam in einer für die damalige Zeit ungewöhnlichen Kleidung zum Unterricht: Mit Stiefeln, Reithose und Reitpeitsche. Bei der Begrüßung schlug er mit der Gerte auf die Bänke. Seine Wutausbrüche, bei denen er Tintenfässer an die Schultafel warf und seine Taschentücher in Stücke riss, waren gefürchtet. Grundlos zerrte er die Mädchen an den Zöpfen aus der Bank und ließ sie in den Ecken des Schulzimmers stehen."
Streicher ist damals, im Jahre 1904, neunzehn Jahre alt. Man lebt in der Kaiserzeit, und Streicher, Sohn eines Volksschullehrers, dient als Hilfslehrer in verschiedenen Dörfern im Schwäbischen. Sonntags muss er dem Pfarrer beim Orgelspielen helfen. Der Erste Weltkrieg ist noch weit weg. Man lebt in einem geordneten Staat, dem Königreich Bayern im Verband des deutschen Reiches.
Zweite Einstellung: In den zwanziger Jahren sieht ein junger Münchener jüdischer Herkunft den mittlerweile als Herausgeber des zwar berüchtigten, aber noch relativ auflagenschwachen Hetzblattes "Der Stürmer" Julius Streicher auf der Straße.
" Ich bin ihm vor einer Parfümerie begegnet, und dann noch einmal in der Parusastrasse, wo er das Schaufenster betrachtete, eine Hundepeitsche mit sich führend (ohne Hund). Damals durchzuckte mich allerdings der Gedanke: Wenn ich jetzt einen Revolver hätte ..."
Etwa zur gleichen Zeit sieht der Schriftsteller Hermann Kesten eher nebenbei Julius Streicher in einer Nürnberger Gartenwirtschaft, während er gerade einen Roman schreibt:
" Nie werde ich einen Roman schreiben, versicherte ich, fuhr nach Nürnberg heim und schrieb dort in acht bis zehn Tagen meinen ersten Roman 'Josef sucht die Freiheit', ich schrieb ihn in einer Gartenwirtschaft am Dutzendteich, wo Liebespaare und Philister saßen, übrigens auch viele Nürnberger Juden und stets mit einer Hundepeitsche und Reitstiefel der infame Antisemitenführer Julius Streicher, der Herausgeber des Hetzblatts 'Der Stürmer'. Es war im Mai 1927, Linden oder Kastanien blühten, Hunde bellten, Vögel sangen, manche Liebespaare ruderten auf dem Dutzendteich und küssten sich, manche aßen Bratwürste mit Sauerkraut im Gartenrestaurant und küssten sich, ich saß und lauschte den Gesprächen am Nebentisch und blickte den Wolken nach und schrieb.
Die Zwanziger Jahre sind anfänglich eine Zeit politischer Unruhe, der dann einige Jahre wachsenden Wohlstandes und großer kultureller Blüte folgen. Im Jahr 1927 denkt man eher daran, einen Roman zu schreiben, als auf den anderen loszugehen. 1929 aber beginnt eine neue Periode, an deren Ende Massenarbeitslosigkeit, Hungersnot und die Machtergreifung der Nazis stehen. Im Jahr 1933, während das Land zur Diktatur umgebaut wird, schildert eine junge Frau, die ihre Lehrerausbildung gerade abgeschlossen hat, den fränkischen Gauleiter Julius Streicher. Aus dem neunzehnjährigen Hilfslehrer Streicher ist nun ein dreiundvierzigjähriger Mann geworden. Der Eindruck, den er hinterlässt, ist allerdings weiterhin unvorteilhaft geblieben:
" Wir Lehrerinnen wurden nach zwei bis drei Wochen zu Schulungskursen nach Henfenfeld "einberufen". Es war eine herrliche Gegend. Wir wanderten und musizierten viel. Aber was wir vorgetragen bekamen, weiß ich mit bestem Willen nicht mehr. Nur an den Besuch des "Frankenführers Julius Streicher" (...) kann ich mich erinnern: Er kam in Uniform mit Reitpeitsche, und wir mussten uns einzeln mit Namen und Dienstort vorstellen. Dabei betrachtete er jede von oben bis unten, machte keine sehr treffenden, dafür aber umso anzüglichere Bemerkungen. Die erste Kollegin stellte sich vor. Dann hat er sie ordinär von oben bis unten, von links nach rechts betrachtet und gesagt: "Sie gefallen mir nicht. Sie haben zweierlei Gesichtshälften!" Ich habe nun die zweifach gebrochene Hakennase. Mir war himmelangst. Er schaut mich an und sagt: "Die Nase verrät Temperament!" Über seine Feststellung war ich trotzdem erlöst. Das ging so weiter. Er fand bei der einen und anderen mehr oder weniger arische Merkmale. Später habe ich erfahren, dass einige der Meinung waren, ich sei Halbjüdin wegen meines Aussehens und meines Redens. Im Anschluss an diese Vorstellung hat er dann einen zweistündigen Stegreifvortrag gehalten, in dem er beschrieben hat, wie er sich mit kaltem Duschen und Eisgüssen abhärte, wie er seinen Ischias kuriert und wie er das Verhältnis von Pfarrer und Lehrerin auf dem Dorf sieht. Dabei ist er sehr ordinär geworden. Es war ein langweiliger und abstoßender Vortrag. Ohne jede Reaktion ließen wir dies alles über uns ergehen. Als die Hausleiterin verkündete: "Der Frankenführer fährt jetzt ab, wollen Sie denn nicht winken?" stand nicht eine einzige auf."


Die Konstante, die sich durch diese Beschreibungen zieht, ist die Peitsche. Die einen sagen Reitpeitsche, die andere Hundepeitsche. Dieses Utensil kommt heutzutage eigentlich nur mehr in Sätzen wie dem Folgenden vor: "In der Mitte des Raumes kniet ein junger Mann, mit verbundenen Augen und mit einem Gummiball geknebelt. ‚Du warst sehr böse!’ knurrt die schwarz gekleidete Lacklady, die hoch aufgerichtet vor ihm steht und hebt die Hundepeitsche."
Ä hnliche Sätze gab es aber auch schon zu Zeiten Julius Streichers, zum Beispiel in dem 1890 erschienen Roman "Die gute Schule" von Hermann Bahr, wo es einmal heißt:
" Die Kleider herunter, in Fetzen, bog sie über, und mit seiner Hundepeitsche. Er wollte sie ganz verwüsten und entfleischen, bis gar keine Spur mehr übrig und er befreit wäre. Sonst wusste er nichts, als nur diese unnachgiebige Begierde, dass er nicht früher aufhören könnte. Nur Blut, Blut. Da wurde ihm erst gut, wie es herunter striemte. Da zwang er sie dann zur Liebe und züchtigte sie mit Küssen, während sie stieß, speichelte und fletschte.
In seinem 1870 erschienen Roman "Venus im Pelz" hatte der österreichische Schriftsteller Sacher-Masoch sadomasochistische Handlungen erst zum Skandal, dann salonfähig gemacht.
Auch heute noch darf die Hundepeitsche im Sado-Maso-Studio nicht fehlen. Internet-Journale merken bedauernd an, dass die Hundepeitsche an sich mittlerweile verboten ist, und nur mehr als "Hundekurzleine" in Zoohandlungen mit eingenähtem Karabiner erhältlich, um das ursprüngliche Design zu verschleiern. Im Stadtbild trifft man die Hundpeitsche heute nicht mehr an.
Der ursprüngliche Zweck diente der Abrichtung von Hunden. In seiner ungemein lesenswerten Abhandlung "Herr und Hund" stellt der bekannte Verhaltensforscher Konrad Lorenz allerdings gleich fest, dass ein Herr, der seinen Hund mit einer Hundepeitsche abrichtet, Dominanz und das Zufügen von Schmerz über den Gedanken einer gleichwertigen Partnerschaft stellt:
" Ein blasser, schmalbrüstiger Herr mit bekümmertem und ärgerlichem Gesichtsausdruck, in seiner Kleidung von schäbiger Respektabilität, mit Stehkragen und Zwicker, kurz in jedem Zoll Büromensch und kleiner Beamter, ging mit einem sehr großen, sichtlich etwas unterernährten deutschen Schäferhund, der in gedrückter Haltung dicht ‚bei Fuߒ einher schlich. Der Mann trug eine schwere Hundepeitsche, und als er plötzlich stehen blieb und der Hund dabei mit der Nase um nur wenige Zentimeter über die dressurmäßig festgesetzte Linie vorwärts kam, schlug er hart und scharf mit dem Peitschenstiel nach der Nase des Hundes. Der Gesichtsausdruck des Menschen zeigte in diesem Augenblick einen solchen Abgrund von Hass und gereizter Nervosität, dass ich mich nur mühsam zurückhalten konnte, Anlass zu einem öffentlichen Streit zu geben. Ich wette tausend gegen eins, dass jener unglückliche Hund seinem noch unglücklicheren Herrn gegenüber genau die gleiche Rolle spielte, wie dieser im Büro gegenüber seinem vielleicht ebenso bedauernswerten Vorgesetzten."
Der Geschäftsabsatz von Hundepeitschen scheint zu früheren Zeiten enorm gewesen zu sein. Wenn man einer Abhandlung zum Thema Kindererziehung noch in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts trauen darf, gehörte die Hundepeitsche damals noch zur Grundausstattung eines durchschnittlichen Haushaltes:
" Eine Mutter von zwei Kindern im Alter von vier und fünf Jahren schreibt über die Anwendung von Lederpeitsche (Hundepeitsche), Klopfpeitsche und Reitgerte "dass für eine zwar nachdrückliche und schmerzhafte, aber bald vorrübergehende Züchtigung eine Lederpeitsche viel geeigneter ist. Sie tut zwar im Augenblick weher als der Stock, aber durch die Weichheit und Schmiegsamkeit des Leders werden die tieferen Schichten weniger in Mitleidenschaft gezogen, daher verschwinden auch die Spuren der Peitsche schneller als die des Rohrstockes... Ob man eine einfache geflochtene oder eine Klopfpeitsche anwenden soll, wird sich nach der ‚Schwere’ der Missetat richten ... Daher bin ich dafür, die Peitsche auf dem entblößten Gesäß anzuwenden. Ich glaube, dass ich als junge Ehefrau von 24 Jahren und Mutter zu diesem Thema gehört werden kann, denn ich habe bis zu meiner Brautzeit die Peitsche meiner Mama zu spüren bekommen - und war damals doch schon 18 Jahre! ...dafür legte sie uns lieber auf die Bank, entblößte die Sitzfläche und gab uns die Peitsche zu schmecken. - Das heißt, ich bin ungenau: sie besaß deren zwei, eine dünne Reitgerte, die wir sehr fürchteten, weil die Spuren meist eine Woche lang zu fühlen waren, und eine geflochtene Lederpeitsche, die wahnsinnig weh tat, aber deren Stiemen schneller verschwanden... Aufgrund dieser Erfahrungen habe ich auch für mein Pärchen (Vier und Fünf) eine Lederpeitsche angeschafft, nachdem ich es anfangs mit der Reitgerte versucht hatte."

Mit Hundepeitschen verschaffte man sich in Streichers Jugend auf dem Land Respekt. Karl May schildert im Jahr 1888 in seinem Roman "Der Weg zum Glück" einen Förster, der stark an Julius Streicher erinnert, ein "stattlicher" Mann mit "unangenehm stechendem Blick" und "schneidender, klangloser Stimme", der "zwei Leidenschaften rücksichtslos fröhnte, der Liebe und dem Gelde". Er nennt sich einen "Rauhen und Kräftigen", dem Mädchen aus dem Weg gehen, da er keine Rücksicht oder Bedenken kennt. Als ihm so ein junges Mädchen entgegenhält: "Und doch sagen die Leutln, daßt sie prügelt hast und sie zu Tod geärgert!", antwortet er: "Die Leute, welche das sagen, mögen nur zu mir kommen. Ich werde sie mit der Hundepeitsche eines Besseren belehren."
Mit diesem Mann kann sich Streicher identifizieren. Wahrscheinlich, weil damals die Hundepeitsche vor allem im ländlichen Bereich ein unabdingbares Instrument ist, ein Herrschaftsmerkmal und ein Instrument, um Disziplin herzustellen. Nicht zufällig wendet er sie dann auch ohne Bedenken bei Tafelklässlern an.
Irma Speckman beschreibt in ihrem Roman "Nur ein Knoten" eine im Zeichen der Hundepeitsche stehende Kindheit:
" Es war im Jahr 1921 (...) Als einmal ein junger Knecht seinen Unmut über die Länge der Andacht laut werden ließ - er hatte an diesem Abend vielleicht sein eigenes Programm - ließ der Bauer ihn ins Kontor kommen. Man konnte sein lautes Schimpfen und des jungen Mannes Stammeln von Entschuldigungen hören. Es war kein Zweifel, er hatte Schläge mit der Peitsche bekommen. Mit dieser Peitsche, sie hatte neun Riemen, "Hundepeitsche" genannt, bestrafte der Vater auch seine Kinder, wenn sie ungehorsam oder eine Kindertorheit begangen hatten. So bekam Hannes Bruder Erwin diese Riemen zu spüren, als er von dem Geld, das ihm der Opa zum Geburtstag gegeben hatte, einen Fußball kaufte, den er sich schon lange gewünscht hatte. Er glaubte, das Geld ohne den Vater zu fragen, ausgeben zu dürfen. Als der Vater von dem Kauf erfuhr, und dass von dem Geld nichts mehr übrig war, strafte er Erwin mit der Peitsche.
Der Vater glaubte wohl, seine Kinder zur Sparsamkeit erziehen zu müssen. Wenn er dann dreimal schlug, waren es: 3 x 9 = 27 Striemen. Hannes Bruder konnte einmal nicht zur Schule gehen, weil sein Popo blau war und zu arg schmerzte. Als Hannes Schwester sich in einen jungen Bauern verliebt hatte, und der Vater sie bei einem Rendezvous ertappte, strafte er sie ebenfalls. Hannes Mutter war dagegen machtlos, sie hat, so sagte sie einmal: manchen Schlag aufgefangen. Das war auch an dem Tag, als Hannes Bruder Peter noch klein war und er dem Pfarrer bei seinem Besuch die Hand nicht geben wollte. Der kleine Peter weigerte sich, den Gast zu begrüßen, und selbst der Befehl des Vaters konnte ihn nicht dazu bewegen. Peter mochte den Pfarrer nicht. Sein Vater wurde zornig, nahm ihn mit ins Badezimmer und schlug ihn so heftig, dass der kleine Peter es nicht durchgestanden hätte, wenn nicht seine Mutter hinzugekommen wäre. Der Vater hatte zuvor dem Pfarrer gegenüber von dem Gehorsam seiner Kinder gesprochen und fühlte sich nun blamiert, das sollte der kleine Peter büßen. Wenn ein Kind in der Verwandtschaft ungezogen war, drohte man ihm, es einige Tage zu Hannes Vater zu schicken, so bekannt war seine Strenge und sein Verlangen nach unbedingtem Gehorsam."
Wenn man die Hundepeitsche anwendet, verwandelt man den Geschlagenen in einen Hund und stellt eine klare Herrschaftsbeziehung her. So kann es nicht verwundern, dass die Hundepeitsche weltweit Kolonialisten dabei hilft, Dienstboten, die anderen Rassen angehören, eine andere Sprache sprechen und keine westliche Erziehung genossen haben, Anweisungen zu geben. Auch der Reporter des New York Herald, der im Jahre 1871 den verschollenen Forscher David Livingstone, bemerkte bezüglich seiner Lastenträger in seiner groß angelegten Reportage, "dass, wenn Schlamm und Nässe die physische Energie der Träger untergraben hatten, eine Hundepeitsche ihrem Rücken sehr gut bekam und sie zu einer gesunden, bisweilen sogar übermäßigen Tätigkeit wieder befähigte." Der weiße Mann schlägt, der Farbige muss es stillschweigend ertragen. So wird die Hundepeitsche zum Symbol der Macht des weißen Mannes.

Es spricht vieles dafür, dass Julius Streicher die Hundepeitsche in die NSDAP eingeführt hat. Adolf Hitler scheint erst nach der Begegnung mit Streicher im Jahre 1922 eine Hundepeitsche bei sich geführt zu haben - ohne überhaupt einen Hund zu besitzen. Sicher ist diese Vermutung allerdings nicht. So wissen wir beispielsweise, dass die Münchner Verlegergattin Else Bruckmann, eine rumänische Prinzessin, die zu den frühen Förderern Hitlers gehörte, selbst nicht ohne Hundepeitsche ausging. Auf den Straßen der bayerischen Landeshauptstadt begegnete ihr dann wie ein Spiegelbild Helene Bechstein, ihres Zeichens ebenfalls reich, frühe Förderin Hitlers und Trägerin einer Hundepeitsche. Wahrscheinlich haben beide Damen dem schnurbärtigen Oberösterreicher zu dieser oder jener Gelegenheit eine Hundepeitsche geschenkt, und er trug einmal diese oder jene Peitsche, um nicht undankbar zu erscheinen, wenn wir der Hitlerbiographie eines Amerikaners Glauben schenken wollen: "Es war vielleicht unvermeidlich, dass Frau Bruckmann und Frau Bechstein im Zuge ihrer parallelen Bemühungen, Adolf Hitler gesellschaftlichen Schliff zu geben, auf Kollisionskurs gerieten. Jede behauptete, seine wichtigste Ratgeberin zu sein, jede schwor, er höre nur auf sie. Elsa Bruckmann ereiferte sich, als sie jemanden sagen hörte, Helene Bechstein habe Hitler die lederne Hundepeitsche geschenkt, die er mit sich führte, wenn er ausging. Sie habe ihm die Peitsche gegeben, erklärte sie. Die Wahrheit war, dass beide Damen Hitler eine Peitsche geschenkt hatten und dass er jede der beiden in dem Glauben gelassen hatte, sie sei seine einzige Wohltäterin." Wahrscheinlich hat er sie aber auch gerne getragen.
Für den deutschen Adeligen Weigand von Miltenberg, der im Jahre 1931 unter Pseudonym eine der ersten Biographien des Jungpolitikers Hitler auflegte, war der frühe Hitler ohne Hundepeitsche undenkbar, und schon deshalb offenbar ohne jeden gesellschaftlichen Schliff geblieben. Die verächtliche Beschreibung des Emporkömmlings wirkt heute etwas dandyhaft, die Exegese der Hundepeitsche aber vorausschauend und treffsicher:
" Er hat weder ein für ihn charakteristisches Kleidungsstück noch überhaupt irgendeine Montur, die er seiner Haltung untertänig gemacht hatte. Dazu kommt seine erschreckende Geschmacklosigkeit. Einzig und allein im neutralen blauen Anzug wirkt er erträglich und einigermaßen unauffällig. Es stimmt nachdenklich, dass allein dieser bürgerliche Habitus ihn einheitlich aussehen lässt, während alle seine übrigen Uniformen sofort ins Auge fallen durch ihre geschmacklose Zusammenstellung und durch störende Einzelstücke. Selbst das Braunhemd, das jedem einigermaßen gut Gewachsenen eine anständige äußere Form gibt, zerfladdert er in der Wirkung dadurch, dass er entweder plumpe halbhohe Schaftstiefel dazu trägt, oder sich vom Gürtel ab, "oberbayrisch" gehabt, mit großmütterlichen, hässlichen grauen Stutzen. Der Dinge ärgstes jedoch ist die Peitsche, die er fast stets mit sich führt. Es ist dies etwa keine lange Reitgerte, die der Diktator im Zorn federnd gegen den Unterschenkel schlagen könnte, damit die Schärfe oder Dringlichkeit eines Kommandos zu unterstreichen, sondern es ist eine Hundepeitsche, mit dickem silbernen Knopf und kurzer, stummeliger, abgenutzter Lederkordel. Zuweilen hält er sie wie einen Marschallstab und dann glaubt man jeden Augenblick, das Glockenzeichen zum Beginn der Zirkusvorstellung zu hören. Diese Peitsche ist ein Symbol; sie langt einfach nicht. Sie ist nicht kurz genug, um als Stab zu dienen, und nicht lang genug um Federung zu verleihen. Diese Peitsche ist ein Dilettant -- wie der ganze Mann. Und so sah ich ihn einmal in einer alten, stillen, süddeutschen Stadt aus der ratternden Mercedes-Limousine steigen. Auf dem Haupt eine blaue, nach hinten geschobene Schirmmütze, ein blaues Jackett, weiche Kragen mit Allerweltskrawatte, braune Manchester-Kniehosen, graue Stutzen und Haferlschuhe, in der Hand die Symbol-Peitsche."
Diesen Mann wollte der sozialdemokratische Innenminister Albert Grzesinski im Jahre 1932 in einer Rede in Leipzig "mit der Hundepeitsche davonjagen" für sein bloßes Ansinnen, mit der Reichsregierung über internationale Angelegenheiten verhandeln zu wollen. Eine gehörige Portion Klassenbewusstsein auch hier, und eine ziemlich peinliche Verkennung der Machtverhältnisse. Als Hitler wenige Monate später Reichskanzler war und Grzesinski fluchtartig das Land verlassen hatte, legte er die Hundepeitsche ab.
Er war ja nicht dumm. Wahrscheinlich hatte der gelehrige Schüler Münchner Society-Damen auch von Miltenbergs Buch gelesen und sich dabei seinen Teil gedacht bezüglich Kleiderfragen und Peitschensymbolik. Auf die Peitsche selbst wollte und konnte er aber nicht verzichten- vor allem in den unteren Rängen. So soll er zwar nach manchen Darstellungen noch selbst in der Nacht des "Röhm-Putsch" mit dem Stiel der Hundepeitsche an die Tür seines "abtrünnigen" Kameraden gehämmert haben - war aber mit aller Wahrscheinlichkeit gar nicht dort. Nein, er hatte sich dupliziert wie der Agent Smith in der "Matrix"-Filmserie, und besaß nun zahllose Mini-Hitlers, die derartige Tätigkeiten für ihn erledigten. So zum Beispiel in Gestapo-Büros: "Ein Überlebender erzählt, wie er während seines Verhörs bei der Gestapo mit der Hundepeitsche geprügelt wurde, bis jeder Teil seines Körpers blutete, und dann wurden die Wunden gepeitscht, bis er nicht mehr wusste, ob er bereits tot war; wie ein Genosse sich durch das Fenster im sechsten Stockwerk des Gestapo-Hauptquartiers in Berlin stürzte, weil der Tod weiterer Folter und dem unausweichlichen Verrat an anderen vorzuziehen war." Die unteren Chargen empfanden die Hundepeitsche mittlerweile offenbar nicht nur als Hilfsmittel auf ideologischer wie auch praktischer handwerklicher Ebene, sondern als eine Art modischer Grundausstattung des Herrenmenschen, vergleichbar den Rayban-Sonnenbrillen eines kalifornischen Surfers, oder den Gucci-Sonnenbrillen der Society-Schnecken. Eingesetzt wurde die Hundepeitsche immer dann, wenn ein relativ zivilisierter und harmloser Mensch zu unerwünschten Handlungen gezwungen werden sollte, und deshalb wurde sie auch zum Kernstück der "Umsiedlungsmaßnahmen", und somit neben der Gaskammer, dem Genickschuss und dem Stacheldraht zum Symbol der Massenvernichtung:
" ...[5. Oktober 1942] Die von den Lastwagen abgestiegenen Menschen, Männer, Frauen und Kinder jeden Alters, mussten sich auf Aufforderung eines SS-Mannes, der in der Hand eine Reit- oder Hundepeitsche hielt, ausziehen und ihre Kleider nach Schuhen, Ober- und Unterkleidern getrennt an bestimmten Stellen ablegen. Ich sah einen Schutthaufen von schätzungsweise 800 bis 1000 Paar Schuhen, große Stapel mit Wäsche und Kleidern. Ohne Geschrei oder Weinen zogen sich diese Menschen aus, standen in Familiengruppen beisammen, küssten und verabschiedeten sich und warteten auf den Wink eines anderen SS-Mannes, der an der Grube stand und ebenfalls eine Peitsche in der Hand hielt."

Berndt Rieger