Background zur Serie "Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek"
Edgar Allan Poe (1809-1849)
[img]images/UploadGrafiken/1247667735edgar-allen-poe.jpg[/img]Der Mann, der vor der Gunners Hall in Baltimore in der Gosse lag, war in einem Besorgnis erregenden Zustand. Die Kleider schmutzig und teilweise eingerissen, ein ungepflegter Bartwuchs unterstrich die Schatten unter den Augen. Es war der 3. Oktober 1849, der letzte Tag der Kongressabgeordnetenwahlen von Maryland. Man vermochte nicht mit Bestimmtheit zu sagen, ob der Mann ein Opfer der Unsitte des "coopings" geworden war: Banden zogen durch die Straßen und griffen bevorzugt Fremde auf, sperrten sie in Keller und stellten sie dort mit Alkohol ruhig, der oftmals mit Narkotika vermischt war. In der Nacht wurden sie dann zu den Wahlurnen gefahren.
Der Mann, um den es sich handelte, war kein geringerer als Amerikas bedeutendster Dichter und Literaturkritiker - Edgar Allan Poe. Fast im Alleingang hat er die amerikanische Literaturlandschaft geprägt. Er entwickelte eine neue Prosagattung - die Shortstory - und legte deren theoretischen Hintergrund in der Schrift "The Philosophy of Composition" dar.
Auch seine literarischen Arbeiten waren neuartig und wirkten schockierend auf seine Zeitgenossen, welche anstatt von degenerierten Adligen in verfallenen Schlössern lieber aufbauende Kolonialliteratur lesen wollten. Die große Masse der amerikanischen Leser wollte nichts wissen von abgrundtiefem Hass, der sich in perfiden Mordplänen auslebt; sie wollten nicht miterleben, wie zu früh Begrabene erschreckt in ihrem engen Gefängnis aufwachen und sich die Fingernägel am Sargdeckel blutig kratzen. Für diese Visionen wurde Edgar Allan Poe von vielen gehasst. Er wagte es in ungeahnte Abgründe der menschlichen Existenz hinab zu tauchen, die den Lesern unangenehm waren. Nur wenigen Aufgeschlossenen dämmerte es, dass hier eine Perle der Literatur herangereift war. Und wie das bei Perlen so ist, wuchs auch diese inmitten von Schlamm auf, der sie zu verschütten drohte.
Zwei Tage nach seiner persönlichen Tragödie verstarb das Genie Edgar Allan Poe im Washington Hospital in Baltimore. Seine letzten Stunden verbrachte er im Delirium.
Noch lange Zeit danach war er eine persona non grata im damaligen Amerika. Erst durch Charles Baudelaire, der Poes Werke ins Französische übersetzte und ihre Verbreitung förderte, erntete Poe posthum Lob und Anerkennung in der Fremde. Die Symbolisten Frankreichs und die Dekadenzautoren Deutschlands der Jahrhundertwende erkoren ihn zum Idol der Moderne. In der Literaturszene Weimars wurde sein Name im Zusammenhang mit heute zu unrecht vergessenen Autoren wie Alexander Moritz Frey (dessen Buch "Spuk des Alltags als Band 3 der Poe-Reihe bei BLITZ erscheint) genannt. Man berief sich auf ihn als Inspirationsquelle und wichtigsten Mentor. Erst nachdem er in Europa geschätzt wurde, erlangte er auch in seinem Heimatland den ihm gebührenden literarischen Ruhm. Zusammen mit Franz Kafka ist Edgar Allan Poe einer der wenigen Autoren der sogenannten Hochliteratur, die dem phantastischen Genre nahe stehen und deren literarischer Rang in der wissenschaftlichen Diskussion stets unangefochten hoch eingestuft wird.
Mit freundlicher Genehmigung des BLITZ-Verlages.