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Einstrich-Keinstrich
Interview mit Joerg Waehner
Joerg Waehner, Autor des Buches Einstrich-Keinstrich, war so freundlich und gab Media-Mania ein Interview.

MM: Herr Waehner, bitte beschreiben sie sich kurz selbst. (Alter, Beruf, Wohnort, familiäre Situation)

Ich bin Schriftsteller, Künstler und IT-Berater, 44 und lebe in Berlin, übrigends seit 18 Jahren mit einer russischen Schildkröte als gut getarnten Untermieter.

MM: Wie haben sie den Mauerfall erlebt?

Mit Ungeduld. 1989 wohnte ich in Berlin-Baumschulenweg. Als am 9. November auf DDR II Schabowskis Pressekonferenz live übertragen wurde, noch vor der Abendschau, heute und der Tagesschau, schnappte ich mir meine Freundin, und wir sind sofort zum Übergang Sonnenallee gelaufen.
Zu den Grenzern war noch nichts von Schabowskis "ab sofort" vorgedrungen. Schämte mich fast meines "Übereifers". Gegen 20:30 Uhr standen wir wieder am Schlagbaum. Jetzt herrschte Volksfeststimmung. Jemand begann, das Grenzgebietsschild abzuschrauben - unter Beifall -, was ich in diesem Moment ungeheuerlich fand. Ein Japaner stand unter den Wartenden und ein amerikanischer Korrespondent. Beide wurden zum Checkpoint Charlie, dem Übergang für Ausländer verwiesen. Wohl ein Autoritätsaufbäumen der Zöllner. Es hagelte Proteste der Umstehenden, "...in this historical moment..", entrüstete sich der Ami. Alle Ossis sollten rüber können, nur der Amerikaner und der Japaner nicht!
Kurz vor Mitternacht kamen wir durch die Zollabfertigung in den Westen. Hinter dem Grenzübergang schwiegen die meisten, einige weinten ergriffen. Dann wieder Jubel. Fahrzeuge überholten uns, andere rannten vorbei. Vor einem Imbiss-Laden standen türkische Männer, zeigten auf die vorbeiknatternden Trabbis, klatschten sich auf die Schenkel und lachten lauthals. Wir liefen zu Fuß bis zum Hermannplatz. Für mich war es der "Tag der Befreiung", denn nach dieser Nacht konnte nichts mehr sein wie zuvor.

MM: Wann haben sie das erste Mal West-Berlin und die BRD besucht?

Kurz darauf fuhr ich das erste Mal mit dem Zug in den Westen - ich sollte für unsere Verlagsgründung eine Druckmaschine kaufen -, sah die Mauer von außen und erlebte so etwas wie ein "Heimatgefühl" zu dem Land, das ich gerade verließ. In dem Moment dachte ich: Nur wer sein Land freiwillig verlassen darf, kann sich dazu bekennen.
Ich hatte damals einen 1000-DM-Schein in der Tasche, mit dem ich hungrig in Gießen ankam. Unterwegs konnte ich ihn nirgends einlösen. Zuerst fand ich es unpassend, mit so einem großen Schein aufzutreten und dann bekam ich ihn nicht gewechselt. Ich hatte Geld und konnte mir nichts kaufen!
Seltsamer Westen.

MM: Was denken sie über die DDR-Shows, respektive die Ostalgie-Welle in der deutschen Medienlandschaft?

Die Ostalgie-Welle hilft auf gewisse Weise vielen, sich im Damals zu "verorten". Die Mittel dazu sind allerdings fraglich, wenn Ereignisse, Symbole und Gegenstände aus dem geschichtlichen Kontext gelöst werden. Es entsteht dadurch eine Erinnerungskultur, die unsere Wahrnehmung des Tatsächlichen verändert. Geschichte wird zum entleerten Retro-Design.

MM: Was denken sie über die Wehrpflicht?

Mir fällt dazu die Plastik "Dem unbekannten Deserteur" in Potsdam ein. Das schönste Denkmal zu dem Thema...

MM: Gab es Reaktionen auf das Buch, eventuell sogar von den im Buch genannten Personen?

Bisher waren die Reaktionen durchweg positiv. Auch von Freunden, die sich plötzlich "abstrakt" im Text wiederfanden.

MM: Was empfinden Sie den Personen gegenüber, welche als IM der Stasi akribisch über Sie Bericht erstattet haben?

Weder Hass noch Rache. Das Gefühl ist ein sehr privates. Man muss zugeben, dass man durch den Verrat verletzt worden ist.

MM: Haben sie noch Kontakt zu Freunden und/oder Kameraden von damals?

Einige Freundschaften haben gehalten. Zum Beispiel zu "Olek" und "Albrecht". Andere meldeten sich nach Erscheinen des Buches, weil sie merken, dass diese Zeit auch für sie wichtig war, wir geprägt wurden, auch in unserem Verhältnis zum damaligen Staat und zu Autoritäten überhaupt.

MM: Wie lange haben sie an dem Buch gearbeitet?

Etwa drei Jahre. Begonnen hatte ich aber schon 1983 unter dem Titel "Notizen aus der Felddienst".

MM: War es schwer einen Verleger zu finden?

Jein.

MM: Welchen Einfluss hatten sie auf die Covergestaltung?

Meine Idee zur Gestaltung wurde vom Verlag aufgegriffen. Die Form sollte dem Armee-Tagebuch entgegenkommen: "schmucklos" sein.
Im Idealfall wäre der Einband aus Einstrich-Keinstrich-Uniformstoff. Durch die Unterzeile "NVA-Tagebuch" wirkt der Titel etwas einengend, und lässt wenig Raum für die Urgroßvatergeschichte. Und vielleicht hätte ich auch den Panzer meiner Schildkröte abbilden sollen ... (lacht)

Geführt von Ralf Strohbach