Media-Mania.de: Guten Tag Frau Luo!
Passend zur Frankfurter Buchmesse ist Ihr neues Buch „Wie eine Chinesin schwanger wird“ im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen. Was hat Sie zu diesem Roman bewogen?Luo Lingyuan: Ich wollte zeigen, wie es in einer Familie in China zugeht. Für eine chinesische Familie ist es sehr wichtig, dass die Kinder auch wieder Kinder bekommen. Das Thema gefiel mir, weil das Kinderkriegen für Deutsche so eine schwere Entscheidung ist.
Media-Mania.de: Haben Sie dabei auch von Ihrer eigenen Familie erzählt? Kennen Sie auch solche Situationen wie im Buch beschrieben?Luo Lingyuan: Meine Familie ist nicht ganz so. Aber sie haben auch Druck ausgeübt. Natürlich sind Erfahrungen mit meiner eigenen Familie eingeflossen, aber vieles stammt auch von Freundinnen, die mir von ihrem Familienleben erzählen. Zum Beispiel von den Konflikten mit ihren deutschen Ehemännern. Aber ohne Fantasie kann man gar nicht erzählen. Es gibt einfach eine literarische Realität und eine tatsächliche Realität. Die literarische Realität wird verdichtet aus der tatsächlichen Realität.
Media-Mania.de: Diesjähriger Ehrengast der Frankfurter Buchmesse ist China. Was bedeutet dies in Ihren Augen für die deutsch-chinesischen Beziehungen?Luo Lingyuan: Ich hoffe, es wird die deutsch-chinesische Freundschaft vorantreiben. Vor allem, dass die Deutschen und die Chinesen sich besser verstehen lernen. Für die Chinesen, vor allem die chinesische Regierung, ist es ein sehr großer Schritt, ihre Literatur nach außen zu zeigen. China hat sich früher ja sonst immer abgeschottet. Besonders während des Kaiserreiches hatte niemand einen besonderen Ehrgeiz, das Ausland mit der eigenen Kultur zu erobern. China hatte immer genug mit sich selbst zu tun. Es ist ein großes Reich und schwer zu regieren. Als das Kaiserreich abgeschafft worden war, kam die Republik und dann der Bürgerkrieg, eine sehr schwere und turbulente Zeit für die Chinesen. Als der Bürgerkrieg und der Krieg gegen Japan vorbei waren, kam das neue China, das sich lange Zeit vollständig abschottete. Deswegen ist es ein enormer Fortschritt, dass China jetzt auf die Welt zugeht. Auch wenn es viele Reibungen gibt und sich Chinesen und Deutsche bei diesem Kontakt noch nicht so ganz wohl fühlen: Die Chinesen werden weiter lernen. Sie sind in einem ständigen Lernprozess. Die Auslandschinesen, die nach einigen Jahren im Westen wieder nach Hause kommen, spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie bringen ja auch oft neue Gedanken mit. Deshalb habe ich in meinem Roman auch eine junge Cinesin zur Heldin gemacht, die jahrelang in Berlin gelebt hat.
Media-Mania.de: Gerade war der 60. Jahrestag der Volksrepublik China. In Ihrem Buch deuten Sie immer wieder eine gewisse Veränderung an, die in den letzten Jahrzehnten vor sich ging. Inwiefern hat sich China geändert im Vergleich zu den Jahren nach der Gründung der Volksrepublik?Luo Lingyuan: Nach der Gründung war Mao an der Macht. Wegen des Personenkults, der um ihn getrieben wurde, war seine Zeit kaum anders als das Kaiserreich. In den ersten 30 Jahren hatte es China sehr schwer. Die Kulturrevolution hat dem Land sehr geschadet und viele schöne Dinge zerstört. Erst als Deng Xiaoping an die Macht kam und mit seinen Reformen begann, hat China sich sehr schnell gewandelt. Seither sind große Erfolge zu verzeichnen. China ist fast schon zu einer Weltmacht aufgestiegen und hat die Kraft, um noch mehr zu schaffen. Aber das Schönste ist, dass China in den letzten 30 Jahren den Menschen immer mehr Freiheit gegeben hat.
Media-Mania.de: Sie leben seit 1990 in Berlin. Damals war das Auswandern noch nicht so populär wie heute. Was hat Sie zum Auswandern bewegt?Luo Lingyuan: Die Liebe. Ich hatte an meiner Uni einen deutschen Studenten kennen gelernt und wir waren ineinander verliebt. Wir haben geheiratet und schließlich bin ich dann mit ihm hierher gekommen. Er musste noch weiter studieren.
Media-Mania.de: Hatten Sie denn am Anfang mit vielen Vorurteilen zu kämpfen?Luo Lingyuan: Ich denke, Vorurteile gibt es immer noch. Aber eigentlich nicht so sehr. Ich habe sehr viele nette Leute kennen gelernt. Und wenn sie bereit sind, sich auf ein fremdes Thema einzulassen, lernen sie auch sehr schnell. Also Deutsche sind auch lernfähig. Wie die Chinesen. (Lacht.)
Media-Mania.de: Ursprünglich haben Sie Journalismus und Computerwissenschaften studiert. Wie sind Sie zum Schreiben von Kurzgeschichten und Romanen gekommen?Luo Lingyuan: Ich habe eigentlich schon immer die Literatur sehr gemocht. In meiner Jugend habe ich sehr viel klassische chinesische Literatur gelesen. Ich war sehr begeistert davon. So entstand bei mir der Traum, Bücher zu schreiben. Aber die damalige chinesische Gegenwartsliteratur war sehr enttäuschend. Deswegen wollte ich auch nicht chinesische Literatur studieren. Daher habe ich dann Journalismus studiert. Ich musste ja einen Brotberuf haben. Denn vom Schreiben kann man nicht leben. Aber der Journalismus ist für das Schreiben sehr nützlich, man erfährt so viele Geschichten, die man einfach erzählen muss. Die Liebe zum Schreiben ist bei mir eben sehr groß.
Media-Mania.de: Ich mutmaße nun einfach mal, dass Sie gerne auch selbst mal ein Buch lesen. Welches Buch lesen Sie gerade bzw. was haben Sie als letztes gelesen?Luo Lingyuan: Das Buch, das ich gerade lese, ist ein Buch von einer Chinesin, die in Amerika lebt und mittlerweile Selbstmord begangen hat. Sie hat ein Buch über das Nanking-Massaker geschrieben, bei dem 300,000 Chinesen den japanischen Invasoren zum Opfer fielen. Ein sehr rührendes, trauriges Buch. Es ist zuerst in Amerika veröffentlicht worden und dort sehr schnell auf die Bestsellerliste geklettert. Irgendwann wurde es dann auch in China veröffentlicht.
Media-Mania.de: Haben Sie denn schon neue Projekte geplant?Luo Lingyuan: Ja, man ist immer in Bewegung. Ich habe vor, über ein China-Restaurant in Berlin zu schreiben. Das ist ein altbekanntes Phänomen: Wo Chinesen sind, gibt es China-Restaurants. Da möchte ich erzählen, wie Chinesen versuchen, sich in der Fremde zu behaupten.
Media-Mania.de: Dafür wünsche ich Ihnen viel Erfolg!Luo Lingyuan: Danke!
Das Interview wurde am 16.10.2009 auf der Frankfurter Buchmesse am Stand des dtv geführt.
Rezension zum Buch "Wie eine Chinesin schwanger wird"