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Beobachtet man die Entwicklung von Politik und Wirtschaft in Deutschland, so gewinnt man den Eindruck, der Staat könne oder wolle seine grundlegenden Aufgaben nicht mehr zufrieden stellend erfüllen: den Bürgern Sicherheit und Gerechtigkeit auf der Basis eines vernünftigen Rechts zu bieten.
Paul Kirchhof, Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg und ehemaliger Bundesverfassungsrichter, hat sich bereits in einem 2008 erschienenen Buch mit der Entfremdung zwischen Staat und Bürger befasst. Nun hat er ein weiteres Buch vorgelegt, das Missstände bezüglich der Gerechtigkeit aufzeigt und zugleich Verbesserungsvorschläge bereithält.
Es geht Kirchhof darum, das in Deutschland geltende, auf einer ausgezeichneten Verfassung beruhende Recht zeitgemäß umzugestalten, jedenfalls jene Bereiche des Rechts, die einer Änderung bedürfen, damit Recht Gerechtigkeit ermöglicht – nicht widernatürliche Gleichmacherei, jedoch im Rahmen der persönlichen Freiheit gleiche Chancen, gleiche Sicherheiten für alle.
In zwölf Kapiteln stellt der Autor Sinn und Nutzen des Rechts vor, die Einbindung des Staatsbürgers und des Marktes in Recht und Gesetz, die wechselseitigen Verpflichtungen zwischen Bürger und Staat, wozu auch das Steuerrecht gehört, die komplexe Verflechtung von Wirtschaft, Markt, Staat und Bürger und die in neuster Zeit zu beobachtende Schieflage innerhalb dieser Beziehung insbesondere hinsichtlich des Finanzmarktes, das Ausmaß an Freiheit, das dem Einzelnen und der Gemeinschaft zuträglich ist, Chancen und Grenzen des Wettbewerbs und etliche weitere Aspekte von Politik und Wirtschaft, bezüglich derer dem Recht und der Gerechtigkeit wesentliche Bedeutung zukommt. Auch auf die Einbindung der Bundesrepublik in die EU und die globale Wirtschaft wird eingegangen. Zum Abschluss erläutert Kirchhof zehn Gerechtigkeitsprinzipien in Zeiten des Umbruchs.
Es wäre interessant gewesen, wenn dieses Buch während des Bundeswahlkampfes 2009 im Zuge einer TV-Politsendung einem breiten Publikum präsentiert worden wäre und die konkurrierenden Parteien zu Kirchhofs Forderungen hätten Stellung nehmen müssen. Denn der Autor prangert eine Fülle von Missständen an, von denen einige für die meisten Bürger offensichtlich sind, während andere sich erst während der Lektüre deutlich erschließen. Dass der Finanzmarkt mit seiner Undurchsichtigkeit, seinem Zugriff auf alle Bereiche der Wirtschaft, aber auch auf private Anlagen, und dem Fehlen von jeglicher Haftung eine regelrechte Bedrohung für den Staat, und keineswegs nur den deutschen, geworden ist, hat spätestens in der aktuellen Wirtschaftskrise jeder verstanden. Auch die Ungerechtigkeit des Gesundheitssystems ist unübersehbar. Das Wahlrecht, Kirchhofs Ausführungen zufolge keineswegs gerecht, wird hingegen kaum einmal hinterfragt.
Mit juristischem Scharfblick, politischem und wirtschaftlichem Sachverstand und viel Menschlichkeit zeigt Kirchhof eine Fülle an Mängeln im Staats- und Wirtschaftsgefüge auf, die dazu führen, dass der Einzelne nur noch danach fragt, was der Staat für ihn zu tun verpflichtet sei, obwohl der Staat nur dann funktionieren kann, wenn er und seine Bürger sich wechselseitig im Rahmen ihrer Möglichkeiten füreinander einsetzen. Kirchhofs Forderungen und Vorschläge wirken realistisch.
Jedes Kapitel wird von einer zum Thema passenden mythischen Legende, historischen Begebenheit oder Parabel eingeleitet, deren Grundgedanken man in dem modernen Problem wieder findet, um das es im Kapitel geht. Die Kapitel sind in kurze, griffige Abschnitte unterteilt. Zwar ist das Buch inhaltlich sehr dicht, kompakt verfasst, doch die schlüssige Argumentation, die deutlichen Gegenüberstellungen von Problem und Lösungsansatz, von Soll- und Istzuständen, sowie der klare Stil und das weitgehende Fehlen überflüssigen Fachjargons machen die Ausführungen auch für fachfremde, politisch interessierte Leser gut verständlich und nachvollziehbar.
Diesem Buch ist zu wünschen, dass es weithin Beachtung findet, denn es könnte in der Tat mehr Gerechtigkeit und vor allem eine bessere Beziehung zwischen Bürger, Staat und Wirtschaft bewirken.
Link zum Interview mit Paul Kirchhof