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 Schlimmer als Krieg

Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist


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Als Daniel Jonah Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ im Jahr 1996 erschien, musste der Autor und Politikwissenschaftler einige Schelte einstecken. Unter anderem wurde seine These, dass der Holocaust nicht hätte stattfinden können, wenn Hitler nicht von den deutschen Bürgern aufgrund ihres eliminatorischen Antisemitismus unterstützt worden wäre, scharf kritisiert.

Im September 2009 ist im Siedler Verlag ein neues Buch des Autors erschienen, das sich - quasi als Konsequenz aus der Beschäftigung mit dem Holocaust - mit Völkermorden im Allgemeinen befasst. Goldhagen beginnt seine Analyse über die Entstehung von Genoziden bei Harry Truman, der im Jahr 1945 als Präsident der USA befahl, Atombomben auf Nagasaki und Hiroshima abzuwerfen. Truman gab damit quasi den Befehl, 300.000 japanische Männer, Frauen und Kinder zu töten, von denen keine unmittelbare Bedrohung für Amerikaner ausging. Das, so Goldhagen, könne man nur als Massenmord bezeichnen. Eine Definition zu finden, was Massen- und Völkermord ist, ist eine der Aufgaben, denen sich das Buch stellt. Zudem will es beantworten, warum bestimmte Ereignisse und Gräueltaten stattfinden und warum Menschen handeln, wie sie handeln, was für Überzeugungen zum Töten führen und wie die Täter zu diesen Überzeugungen gelangen. Doch neben der Analyse will das Buch auch Vorschläge machen, wie Völkermorde verhindert werden können.

Autor Daniel Goldhagen schlägt vor, statt Genozid oder Völkermord den Begriff Eliminationismus zu verwenden. Dieser Begriff umfasst verschiedene Formen, wie Völker oder Gruppen eliminiert werden können: durch Transformation, also durch eine mit Gewalt und Zwang einhergehende Umerziehung, durch Unterdrückung, wie beispielsweise während der Apartheid in Südafrika, durch Vertreibung, wie zum Beispiel der Schiiten 1991/92 aus dem Süden des Iraks, durch Reproduktionsverhinderung, die eher selten ist, aber unter anderem von den Nazis eingesetzt wurde, und durch Vernichtung, also den eigentlichen Mord. Der Wunsch, andere potenziell gefährliche Gruppen oder Völker zu eliminieren, liegt nach Auffassung des Autors allen diesen Methoden zugrunde, weshalb sie gemeinschaftlich analysiert werden müssen. Goldhagens Buch ist in diesem Sinne auch eher eine Auseinandersetzung mit der Eliminierung der Völker über alle fünf Formen hinweg und nicht nur eine, die sich auf das Töten beschränkt.

In seinen Erklärungsansätzen, warum es zum Völkermord kommt, ist Goldhagen für den Laien schlüssig und nachvollziehbar. Es ist kaum anzunehmen, dass diese analytischen ersten beiden Teile des Buches eine größere Debatte auslösen werden, was allerdings nicht heißen soll, dass sie nicht lesenswert sind. Ganz im Gegenteil ist der Autor hier viel einnehmender als in seinen Handlungsvorschlägen im dritten Teil. Goldhagen schafft es, gut strukturiert und in einfachen Worten dem Leser seine Argumentation zu verdeutlichen und ihn von seiner Herangehens- und Sichtweise zu überzeugen. Im dritten Teil zeigt sich dann Goldhagens Provokationspotenzial. Während sich die einen vielleicht an seinen Beschreibungen des politischen Islams als neue Bedrohung und derzeit gefährlichste eliminatorische politische Bewegung reiben werden, werden andere bei seinem Vorschlag, Kopfgelder auf Handlungstäter auszusetzen, nur ungläubig den Kopf schütteln können: Der Anführer eines eliminatorischen Regimes könnte dann – tot oder lebendig – dem Kopfgeldjäger zehn Millionen Dollar einbringen, ein Minister oder Angehöriger der Generalstäbe des Militärs und der Polizei könnte eine Million Dollar wert sein und ein enger Mitarbeiter einhundertausend Dollar. Welcher tyrannische Führer könne noch ruhig schlafen, fragt Goldhagen, wenn zehn Millionen Dollar auf seine Leibwächter warten?

Wie auch immer man über Goldhagens Handlungsalternativen denken mag, seine Analyse der Gründe für eliminatorisches Verhalten sind durchaus interessant und die Lektüre wert. Allerdings sollte man, auch wenn das Buch flüssig und leicht zu lesen ist, angesichts der teilweise gebetsmühlenartigen Wiederholungen und der daraus resultierenden 642 Seiten Text ein wenig Zeit, Muße und Geduld mitbringen. Der Autor hätte seine Ausführungen deutlich straffen können und den meisten Lesern damit sicherlich auch einen Gefallen getan. Zudem wird man hin und wieder, besonders im letzten Teil der Handlungsvorschläge, auf etwas Polemik, Selbstverliebtheit und verletzte Eitelkeit stoßen – beispielsweise wenn der Autor mögliche Reaktionen vorhersieht und weiß, dass „einflussreiche Kreise – in Politik, Medien, Wissenschaft et cetera – ... in Ländern, die Eliminierungspolitik praktiziert haben, über jeden her[fallen], der es wagt, politisch brisante oder unangenehme Wahrheiten auszusprechen.“
Als Leser kommt man nicht umhin, zu denken, dass der Autor dabei von sich selbst spricht. Doch ob es Goldhagen vor allem um Provokation und Selbstdarstellung geht oder nicht, ist letztlich egal. Er hat mit „Schlimmer als Krieg“ seinen analytischen Finger auf eine Wunde gelegt, die noch lange nicht abgeheilt ist, denn es werden noch immer Völker und Gruppen unterdrückt, vertrieben, ermordet. Wenn sein Buch dazu beiträgt, dass darüber geredet wird und mehr noch, versucht wird, all das zu verhindern, dann hat es sein Ziel allemal erreicht.

Eine leicht lesbare und vor allem interessante Analyse, warum und wie Völkermord entsteht, deren Argumentation logisch und gut aufgebaut ist.

Katja Maria Weinl

Probe


Hardcover | Erschienen: 30. September 2009 | ISBN: 9783886806980 | Originaltitel: Worse Than War | Preis: 29,95 Euro | 685 Seiten | Sprache: Deutsch

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