Muralimus bezeichnet die Kunst der Wandmalerei im öffentlichen Raum, ursprünglich aus Mexiko stammend und oft mit politischem Hintergrund. "Mural Art" kann aber auch schlicht und einfach Kunst in die Öffentlichkeit und ins Straßenbild bringen, Gebäude verschönern und Städten ein aufregendes Gesicht geben. "Schlicht und einfach" ist natürlich nicht in Bezug auf die Murals an sich gemeint, denn diese sind alles andere als schlicht oder mal eben so gefertigt, ganz im Gegenteil.

Bereits zum dritten Mal veröffentlicht der Publikat Verlag einen grandiosen Einblick in die Welt der Murals. "Mural Art Vol. 3 – Murals on huge public Surfaces around the World" ist ein sehr inspirierender, an- und aufregender Fotoband, der mit dem Vorurteil aufräumt, Wandmalerei sei mit schlichteren (womöglich sogar unerwünschten) Graffitis oder sogar Schmierereien gleichzusetzen. Denn was hier im breiten Format und auf mehr als 270 Seiten präsentiert wird, ist Kunst, hohe Kunst sogar.

Der Autor Kiriakos Iosifidos, Herausgeber des griechischen Graffiti Magazins "Carpe Diem", nimmt den Betrachter mit auf eine Reise zu den größten, schönsten und spektakulärsten Fassadenmalereien der Welt. Hunderte von Fotografien dokumentieren Murals aus allen Ländern, sowohl von Einzelkünstlern als auch von Organisationen angefertigt, teilweise für einen guten Zweck.
Die Vielfalt ist verblüffend, nahezu jeder denkbare Stil ist vertreten. Da wandeln riesige abstrakte Fantasie-Tiere träumerisch über eine Häuserfassade, blickt ein gigantischer, absolut lebensechter James Brown auf die Welt hinab, tummeln sich Rieseninsekten bedrohlich auf einer Mauer, streckt sich eine Schläferin über eine Reihe von Garagen aus, verschluckt ein meterhoher Moby Dick ein winziges Boot oder greift ein Kind auf den Schultern eines Mannes nach den Sternen. Vieles ist politisch, manches humoristisch, grotesk oder kitschig, auf jeden Fall gleicht kein Werk dem anderen.

Besonders gefallen die Murals, die ausgefeilte optische Täuschungen darstellen: Überdimensionale Trompe-l’œis verblüffen den Betrachter des Bildbands und irritieren oder schockieren den Passanten – nämlich dann, wenn er glaubt, ein Zug rase auf ihn zu oder ein Durchbruch in einer Häuserwand führe direkt in einen herrlichen Sonnenuntergang hinein. Der Zug ist natürlich ebenso aufgemalt wie der Sonnenuntergang nebst Durchbruch, doch so verblüffend echt, dass man schon um die armen Autofahrer fürchtet, die der Anblick wahrscheinlich mehr als einmal fast gegen die Wand gelenkt hat. Nicht alle Murals sind so fotorealistisch, viele spielen bewusst mit ganz unterschiedlichen Malstilen, mit Popart oder Comiczeichnungen; manche zeigen religiöse Ikonen-Malerei, manche fantastische Werke im Stil von Ölgemälden, die sich vor den großen Meistern der Malerei keinesfalls zu verstecken brauchen.

Zwar sind die Fotos in diesem Buch teils relativ klein gehalten – auf einer Doppelseite finden sich durchschnittlich fünf bis sechs Fotografien, oft auch mehr -, aber allein die schiere Größe der Kunstwerke, die man ja in Relation zum abgebildeten Gebäude ermessen kann, beeindruckt sehr. Bei manchen Murals fragt man sich schlicht und einfach, wie der Maler das gemacht hat – etwa wenn an einem Industrie-Schornstein riesige, fotorealistische Regentropfen hinab rinnen. Von ganz nahem, aus der direkten Sicht des Künstlers, wirken diese Bilder sicher unspektakulär – von weitem ist die Wirkung grandios.
Auf jeder Seite stehen kurze Infos zu den jeweils abgebildeten Kunstwerken (Künstler, Titel, Land, Entstehungsjahr). Das Buch ist in englischer und griechischer Sprache, eine deutsche Übersetzung der Texte gibt es, wie bei Publikat üblich, nicht.

Fazit: "Mural Art Vol. 3" ist ein cooler und hochwertig aufgemachter Bildband, der spektakuläre und künstlerisch anspruchsvolle Murals aus aller Welt zeigt. Vielseitig, fantastisch, kreativ – eine tolle Gelegenheit, in die Welt der Straßen- und Gebäudekunst im öffentlichen Raum abzutauchen. Nachher wünscht man sich zwangsläufig, dass das eigene Haus, die eigene Stadt auch mal Besuch von einem Mural Artist bekommen würde, damit auch hier Züge durch Häuserwände rasen oder Sonnenaufgänge an tristen Mauern entstehen.

Einige Einblicke in den Bildband gibt es auf der Website des Verlags.