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Gegen Ende der Donaumonarchie erlebte Budapest eine enorme Blüte. Wiens kleine ungarische Schwester mauserte sich zu einer Metropole, in der Künste und Wissenschaften blühten und sich Intellektuelle in den Kaffeehäusern zum Gedankenaustausch trafen, vorrangig im heute noch existierenden Café "New York".
Erstmalig konnten dabei auch die Juden von diesem Aufschwung profitieren. Zahlreiche Juden besuchten die Universität und bereicherten das Geistesleben der Stadt.
Nach dem für Ungarn besonders fatalen Ende des Ersten Weltkriegs änderten sich deren Lebensumstände massiv. Kurzlebige totalitäre Regimes wechselten einander ab, bis sich eine rechtslastige Regierung etablierte, unter der die Juden Restriktionen ausgesetzt waren. Nacheinander verließen etliche jüdisch-ungarische Künstler und Naturwissenschaftler das Land Richtung Deutschland – Göttingen und Berlin -, Paris oder auch der USA. Spätestens als die Nazis die Macht ergriffen, fand man sie in Amerika oder England.
Neun jüdisch-ungarische Genies, die in besonderer Weise den Gang der Welt beeinflusst haben und die sich zur Emigration genötigt sahen, hat Kati Marton in ihrem Buch portraitiert: die Physiker beziehungsweise Mathematiker Leó Szilárd, Eugene Wigner, John von Neumann und Edward Teller, die Fotografen André Kertész und Robert Capa, den Schriftsteller Arthur Koestler sowie die Regisseure Michael Curtiz und Alexander Korda.
Im Rahmen einer Rezension ist es unmöglich, diese neun Biografien zusammenzufassen. Sie ähneln einander und sind doch grundverschieden wie die einzelnen Charaktere, zu denen sie gehören. Alle neun Portraitierten hatten Familien, die sie förderten, und teilten das Schicksal der Emigration in einer schwierigen Zeit. Allen gelang es, sich in der neuen Heimat einen Ruf aufzubauen und noch zu Lebzeiten internationale Anerkennung zu gewinnen. Aber jeder hatte auch sein eigenes Leid zu tragen, etwa Holocaust-Opfer im Familienkreis.
Kati Marton, selbst Nachfahrin ungarischer Emigranten, beschreibt zunächst das Budapest, in das die neun Berühmtheiten hineingeboren wurden, und dies so anschaulich, dass vor dem Leser die Kaffeehauskultur ganz plastisch aufersteht. Auch in die besondere Situation der Juden vermag er sich gut hineinzudenken.
Chronologisch, das heißt parallel zu einander in sinnvoll gewählten Abschnitten, werden dann die einzelnen Leben nacherzählt – lebendig, anrührend, gut recherchiert, wobei der naturwissenschaftlich interessierte Leser bei den Viten der vier Atombombenentwickler sicher ein wenig mehr Details zu ihrer Arbeit wünschen würde (und sich wundert, dass Otto Hahn und Fritz Straßmann zu Physikern gemacht werden). Man muss die Gabe der Autorin bewundern, diese neun Leben so darzustellen, dass der Leser den Überblick nicht verliert und die Sprünge zwischen den einzelnen Persönlichkeiten problemlos nachvollziehen kann.
Kati Marton flicht auch Details aus ihrer Familien- sowie ihrer eigenen Geschichte ein, doch diese fehlende Distanz zu ihren Protagonisten wirkt an keiner Stelle störend; sie trägt eher noch zum Verständnis für die Situation der großen Gemeinde an, vor allem, jüdischen Exil-Ungarn, insbesondere in den USA bei.
Die Lektüre erweist sich als sehr packend und informativ, sie berührt und trägt zur Erweiterung des zeitgeschichtlichen Wissens bei. Wie gewohnt hat Eichborn auch diesen Band der "Anderen Bibliothek" hochwertig und ansprechend gestaltet und mit einem eleganten offenen Schuber versehen. Viele Fotos am Anfang und Ende des Buchs bringen die Portraitierten und ihr Werk näher. Sehr empfehlenswert!