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 Immer mehr ist nicht genug!

Vom Wachstumswahn zum Bruttosozialglück

Autoren: Petra Pinzler
Verlag: Pantheon

Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Wir leben in einer Zeit, in der "mehr" meistens auch als besser gilt. Mehr Produkte, mehr Arbeit, mehr Leistung, mehr Konsum. Politischer Ausdruck dieses Phänomens ist die Fixierung auf die Steigerung des BIP oder BSP, also auf das Wirtschaftswachstum. Seit langem, nicht erst seit der Finanzkrise und Atomkraftwerkhavarien, gibt es Kritik an diesem Gesellschaftsmodell. Dennoch ist der Glaube am Wachstum ungebrochen im Mainstream verankert. Petra Pinzler hat in ihrem Buch "Immer mehr ist nicht genug!" Beispiele zusammengetragen von Menschen und Bewegungen, die über Alternativen zu diesem Wachstumswahn nachdenken oder sie bereits leben.

Auf 320 Seiten fasst die Autorin ihre Recherchen zum Thema Wachstumswahn und Alternativen in mehreren Kapiteln zusammen. Die Kapitel sind dabei für sich lesbare kürzere Texte, die weniger durch einen sich entwickelnden roten Faden zusammengehalten werden als durch die Klammer des Themas. Dabei verfolgt die Autorin vor allem zwei Argumentationsstränge: Zum einen werden Beispiele angeführt für die eklatanten Folgen des Wachstumswahns, zum anderen Gegenbeispiele herangezogen, die zeigen sollen, dass es auch anders geht.

Auf der Seite des Wachstumswahns finden sich neben katastrophalen Folgen für die Umwelt vor allem enorme Risiken für jeden einzelnen Menschen. Stress und Leistungsdruck auf der Arbeit, an der Universität und auch schon in der Schule führen immer häufiger zu psychischen Erkrankungen. Dabei bringt der gestiegene materielle Wohlstand, der sich vor allem im Konsum ausdrückt, nicht etwa mehr Zufriedenheit mit sich. Im Gegenteil fördert er doch nur Markenwahn und rein materielles Statusdenken. Die Autorin führt eine Menge wissenschaftliche Belege an, dass immer weniger Menschen sich in den Wohlstandsgesellschaften glücklich fühlen. Der Wachstumswahn hat also nur negative, für Mensch und Umwelt schädliche Folgen.

Dabei gibt es Alternativen, meint Petra Pinzler. Würde die Gesellschaft auf den Drang des "immer mehr" verzichten, ergäben sich neue Wege. Sie führt eine Reihe an Wissenschaftler und Politiker an, die sich mit Alternativen beschäftigen. Ein Hauptaugenmerk legt sie dabei auf die Suche nach einem neuen Maßstab für wirtschaftlichen und politischen Erfolg. Anstatt die Wirtschaftskraft zu messen und ihr Wachstum als gesellschaftliches Ziel zu bestimmen, sollten andere Faktoren gemessen werden. Es gibt bereits eine Menge Beispiele von Indizes, die neben ökonomischen Faktoren andere mit heranziehen, um das "Glück" in einer Gesellschaft besser messen zu können. Dabei geht es meistens um Faktoren wie Gesundheit, Zugang zu Bildung, gerechte Einkommensverteilung oder nachhaltigem Ressourcenverbrauch.

Die Autorin sucht aber auch nach bereits gelebten Alternativen zur Wachstumsgesellschaft. Hier führt sie vor allem Beispiele aus der Ökologiebewegung auf, weist auf Fair-Trade- und Ökoprodukte hin, führt an, wie viele Menschen bereits nicht mehr ein Auto als Statussymbol betrachten und bereit sind auf andere, die Umwelt schonende Mobilitätsangebote zurückzugreifen. Das sind nur wenige Beispiele für eine große Bandbreite an alternativen Lebensmodellen, die die Autorin recherchiert hat.

Das Buch endet mit einem Personenregister.

Petra Pinzler hat mit "Immer mehr ist nicht genug" ein gut recherchiertes Buch zu einem wichtigen und bedenkenswerten Thema vorgelegt. Allerdings hat der Text einige inhaltliche Schwächen. Die Autorin setzt sich nicht wirklich kritisch mit ihrem Thema auseinander. Es ist ein Buch, in dem es Böse und Gut gibt. Die Grenze zwischen beiden wird klar gezogen. Wer nicht einsieht, dass wir kein Wirtschaftswachstum brauchen, um glücklich zu sein, ist bestenfalls auf eine Ideologie hereingefallen oder ein engstirniger Ewiggestriger. Dagegen stehen die "Helden", die sich um Alternativen zur Wachstumsgesellschaft kümmern, die die Umwelt schützen wollen oder den Stresspegel für alle Menschen senken wollen, die Elektroautos fahren, Bioprodukte kaufen und eingesehen haben, was eigentlich allen klar ist: Ein iPod und ein Flatscreen machen allein nicht glücklich. Es sind die Glücksforscher und Aussteiger, die, verteilt über den Globus, für eine bessere Welt für alle kämpfen.

So richtig und unterstützenswert das Anliegen der Autorin ist, so schade ist es, dass sie den ganzen Diskurs um Wachstum und Alternativen nicht kritisch reflektiert, sondern sich plump auf die Seite derer stellt, die vermeintlich das Neue und Gute vertreten. Dieser Ansatz funktioniert wunderbar an den Stellen, an denen sie zu Recht ideologische Verblendung attestieren kann. So zum Beispiel bei der herrschenden Wirtschaftswissenschaft in Deutschland, deren neoliberales Weltbild tatsächlich zu unreflektierten Dogmen geführt hat, unter anderem jenem, die Notwendigkeit von Wachstum einfach nicht hinterfragen. Weniger erfolgreich ist diese einseitige Darstellung allerdings dann, wenn ernst zu nehmende Argumente einfach nur als Beispiele für rückwärts gewandtes Denken abqualifiziert werden. Auch dafür ein Beispiel: An einer Stelle beschreibt die Autorin, wie in einer Diskussionsrunde ein sozialdemokratisches Argument gegen die Wachstumskritik vorgebracht wird, nämlich, dass es mit neuem Konsum und ohne Wachstum Probleme gäbe für sozial benachteiligte Schichten, in der Gesellschaft Chancengleichheit zu organisieren. Gerade wenn das Anliegen "nachhaltiges Wirtschaften für Mensch und Natur" so gewichtig vorangebracht wird und in vorherigen Kapiteln festgestellt wurde, dass Menschen in Gesellschaften glücklicher sind, in denen die Unterschiede zwischen Arm und Reich gering sind, sollten solche Argumente doch von Gewicht sein!

Aber die Autorin wertet ohne Unterschied alle Ansätze, die Wachstum kritisch betrachten, als positiv und alle anderen als negativ und steckt so Menschen aus verschiedenen politischen Richtungen in die eine oder die andere Schublade. In beiden finden sich Konservative, Liberale und Linke in einer völlig neuen Konstellation. Daraus folgt schließlich eine abstruse These: "Die Glücksforschung und ihre Ergebnisse sind ideologiefrei", denn sie werden ja schließlich in allen politischen Lagern vertreten. Arbeitet die Autorin im Buch richtig heraus, dass der Wachstumswahn ideologische Ursachen hat, fällt sie doch ständig selbst in die Ideologiefalle. Wie die Wirtschaftswissenschaftler der letzten drei Jahrzehnte glaubt sie, in der Glücksforschung und der Ökologiebewegung die einzig richtige Wahrheit gefunden zu haben. Wie die Wirtschaftswissenschaftler glaubt sie daran, dass es eine objektiv-ideologiefreie Wahrheit gibt, und wie die Wirtschaftswissenschaftler hat sie Probleme im Umgang mit Argumenten, die das eigene Weltbild übersteigen.

So bleibt ein Buch, dessen Wert darin zu suchen ist, dass es die ernsten Folgen des Wachstumswahns für Mensch und Umwelt herausstellt und die vielen Ansätze zusammenstellt, die sich kritisch mit diesem Wahn auseinandersetzen. Dass es einen neuen Diskurs braucht um Wachstum und vor allem um die Begrenzung des Wachstums, steht außer Frage. Die Stellen im Buch, in denen über die beschriebenen Standpunkte geurteilt wird, sollten allerdings überlesen werden, damit der Weg frei wird für eine konstruktive Debatte über das Thema.

Verlagsseite zum Buch mit Leseprobe

Andreas Schmidt



Taschenbuch | Erschienen: 5. September 2011 | ISBN: 9783570551639 | Preis: 14,99 Euro | 320 Seiten | Sprache: Deutsch

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