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Der Roman "Der Kramladen des Glücks" von Franz Hessel schildert die Kindheits-, Jugend- und Studentenjahre des Kaufmannssohnes Gustav Behrendt um die Jahrhundertwende, wobei den Studienjahren in München der Großteil des Buches gewidmet ist. Dieser erste Roman Franz Hessels erschien im Jahr 1913 und ist stark autobiografisch geprägt. Er war lange Zeit vergriffen und wurde nun vom Lilienfeld Verlag neu aufgelegt, nachdem dort im vergangenen Jahr bereits Hessels "Heimliches Berlin" neu herausgebracht worden war. Dabei wurde besonders auf ein hochwertiges Erscheinungsbild geachtet, so dass das Buch mit seinem schönen Halbleineneinband mit gelungener künstlerischer Gestaltung ein optischer und haptischer Hochgenuss ist.
Das Buch weist keinen romanüblichen geschlossenen Handlungsverlauf auf, sondern basiert auf einer Aneinanderreihung von Episoden aus den ersten 25 Lebensjahren des jüdischen Kaufmannssohnes Gustav Behrendt. Zentrales Motiv sind dabei die Identitätssuche und auch die Suche nach der Liebe – nach dem Lieben und Geliebt werden. Der Schreibstil Hessels ist dabei sehr detailverliebt und atmosphärisch und harmoniert dadurch sehr gut mit dem Inhalt.
Leider fehlt dem Roman allerdings eine sichtbare Entwicklung des Protagonisten Gustav Behrendt. So ist das Finden der eigenen Identität, das ein typisches Element eines jugendlichen Entwicklungsromans darstellt, hier nicht anzutreffen. Manfred Flügge schreibt im Nachwort, das Buch sei ein Bildungsroman eines Taugenichts, dessen zentrales Motiv nicht das Lernen, sondern das Sich-Bewahren sei. Auch wenn der zweite Teil dieser Aussage zweifellos zutrifft, muss doch gefragt werden, ob überhaupt von einem Bildungsroman in irgendeiner Form gesprochen werden kann. Denn dafür fehlen echte, eigene Unternehmungen des Protagonisten, an deren Scheitern er lernen oder eben nicht lernen kann. Aber Gustav Behrendt macht keinerlei Anstrengungen, irgendeiner (falschen) Ideologie zu folgen.
Vielmehr treibt er durch die Welt und hängt sich abwechselnd an verschiedene Persönlichkeiten. Hierbei verliebt er sich allerdings immer nur in den äußeren Schein einer bestimmten Person, interessiert sich aber nie wirklich für deren echtes Wesen oder Bestimmung. So folgt er einem schönen Jüngling, der ihn interessiert, zu einem Zionistenstammtisch, um sich dort dann prompt in eine glühende Zionistin zu verlieben. Für das Judentum und den Zionismus interessiert er sich indes nicht im Geringsten. Wie alle anderen Frauen auch, verlässt er übrigens auch diese schon nach wenigen Treffen wieder, da sie seinem heftigen Drängen nach körperlicher Hingabe nicht nachgeben will. In Folge dessen beginnt er die jeweilige Frau und sich selbst zu hassen.
Generell sind Selbstmitleid und eine beständige Melancholie die Hauptwesenszüge des Protagonisten Behrendt und als Leser wünscht man sich nach 200 Seiten nichts sinnlicher, als dass dieser unglückliche Werther endlich mal mit dem tatenlosen Schmachten aufhören und die Dinge endlich in die Hand nehmen würde. Doch – in Übereinstimmung mit Franz Hessels eigener Biografie dieser Zeit – passiert dies nicht.
Entschädigt für das Ausharren mit dem schmachtenden Protagonisten werden die Leserinnen und Leser durch die beschwingte Schilderung der Schwabinger Künstlerszene der Jahrhundertwende. An deren Festen und Treiben nimmt der Protagonist teil, ohne selbst Teil dieser Gesellschaft zu sein. In diesen Passagen gewinnt das Buch merklich an Tempo und ein Ausblick um Hessels späteren Schreibstil wie in "Heimliches Berlin" stellt sich teilweise ein. Durch diese Hintergrundmusik schafft es das Buch trotz der Nichtentwicklung des Protagonisten kurzweilig und unterhaltsam zu sein, was es angenehm von anderen Romanen mit ähnlichen Protagonisten wie beispielsweise Orhan Pamuks "Museum der Unschuld" unterscheidet.
Fazit: Insgesamt ist der Roman "Der Kramladen des Glücks" ein durchaus interessantes Buch und in seiner Verweigerung einer Entwicklung des Protagonisten geradezu modern. Potentielle Leser müssen sich aber überlegen, ob sie damit umgehen können, mitzuerleben, wie auch die fünfte Romanze an den gleichen Umständen scheitert wie alle vorigen und sich niemals die ersehnte Weiterentwicklung des Helden einstellt.