Nach einer gefahrvollen und anstrengenden Reise sind Anand, Nisha und Abhaydatta glücklich im Silbertal in den Bergen des Himalajas eingetroffen. Die mächtige magische Muschel, die die drei Freunde vor den bösen Plänen den Schwarzen Magiers Surabhanu beschützten, ist wieder da, wo sie hingehört: im Kristallsaal der Bruderschaft, sicher eingeschlossen in einem prächtigen Schrein. (Diese Ereignisse werden im ersten Teil der Trilogie in "Anand und das Geheimnis des Silbertals" erzählt.)

Zu ihrer großen Freude sind Nisha und Anand in die Bruderschaft aufgenommen worden und werden nun zu Heilern ausgebildet, die die Welt zum Besseren verändern sollen. Und nicht nur das: Anand ist zum Muschelträger ernannt worden - bis an sein Lebensende soll er die magische Muschel, zu der der Junge eine enge Beziehung aufgebaut hat, beschützen und bewahren. Auf anfängliche Euphorie folgen bei Anand rasch Angst und Zweifel: Der Unterricht im Silbertal ist schwierig und anspruchsvoll, und nichts will Anand so richtig gelingen. Ist er vielleicht doch kein vollwertiges Mitglied der Bruderschaft? Verfügt er am Ende über keine einzige magische Gabe?

Dann plötzlich häufen sich die Zeichen, dass etwas in der Welt außerhalb des Silbertals ganz und gar nicht stimmt: Ein ferner Wind bringt die beunruhigende Botschaft "Das Böse regt sich". In einer Unterrichtsstunde hat Anand eine Vision, in der ihn eine alte Frau auf telepathischem Weg bittet, ihrem Dorf zu helfen. Die alte Frau schildert, dass ein Fremder in das Dorf gekommen sei und die männlichen Bewohner angeheuert hat, um im Wald in einer unheimlichen Ruine zu graben. Die Männer, die aus dem Wald zurückkehren, sind auf schreckliche Art und Weise verändert: apathisch, mit leeren Gesichtern und scheinbar ihres Verstandes beraubt. Welches Grauen lauert in den alten Ruinen?

Der Meisterheiler Abhaydatta, der die Kunst des Vergessens und Erinnerns beherrscht, wird losgeschickt, um dem Dorf zu helfen. Anand rechnet fest damit, dass er Abhaydatta bei dieser Aufgabe begleiten darf, doch an seiner Stelle wird ein anderer Novize ausgewählt, der über mehr Erfahrung und magische Kräfte verfügt. Wochen vergehen, und Anand erfährt in einer zweiten Vision, dass sein Mentor und Freund in großer Gefahr schwebt. Auf eigene Faust und entgegen allen Regeln bricht Anand mit Nisha und der Muschel auf, um ihn zu retten. Mit Hilfe eines magischen Portals, das die Muschel beschwört, verlassen sie das Silbertal. Die Reise führt nicht nur in das unheimliche Dorf und die Ruine im finsteren Herz des Waldes, sondern auch viele Jahrhunderte durch Raum und Zeit …

Im zweiten Teil der Abenteuer-Trilogie "Die Muschelbrüderschaft" von Chitra Banerjee Divakaruni erlebt Anand abermals zahlreiche Abenteuer, reist durch die Zeit, muss Gefahren durchstehen und vor allem auch eine persönliche Weiterentwicklung durchmachen. "Anand und der magische Spiegel" ist noch weitaus spannender als sein Vorgänger. Die Handlung schreitet schneller voran, unheimliche und beunruhigende Ereignisse werfen von Anfang an ihren Schatten über Anand und das friedliche Silbertal. Vor allem die Szenen in dem Dorf, im Herzen des Waldes und in den verlassenen Ruinen sind düster, atmosphärisch sehr dicht und spannungsgeladen. Sehr reizvoll ist nach wie vor der gelungene Brückenschlag zwischen klassischen Fantasy-, Märchen- und Abenteuerelementen und der Neuzeit, da Anands Geschichte in der heutigen Zeit spielt. Die Schauplätze im Himalaja sorgen für wunderschöne Beschreibungen von Landschaften und indischer Lebensweise, die Neugier und Sehnsucht nach diesem für Europäer fremdartigen Land wecken.

Die indische Autorin Chitra Banerjee Divakaruni hat die Geschichte der Muschelbrüderschaft konsequent weiterentwickelt - die Geschehnisse aus "Anand und der magische Spiegel" knüpfen nahtlos an die Ereignisse aus dem ersten Teil an. Die Hauptfigur erhält wie auch in Teil eins viel Raum, um sich zu entwickeln; Divakaruni lässt den Zuhörer ausführlich an Anands Gedanken und Gefühlen teilhaben. Wie im ersten Teil wird der Junge das Opfer zahlreicher Fehlentscheidungen, die sich teilweise verhängnisvoll auswirken; seinem Alter entsprechend verhält er sich häufig unvernünftig, wird von Eifersucht und Selbstzweifeln geplagt - und ist damit umso menschlicher, so dass vor allem kleine Zuhörer mit ihm mitfiebern werden. Mut und Treue, Liebe und Aufrichtigkeit sind Tugenden, die immer wieder unaufdringlich in diese Geschichte über den Kampf zwischen guten und bösen Mächten mit einfließen.

Der magischen Muschel, die Anand behüten soll, hat Divakaruni eine Seele, einen eigenen Willen und die Fähigkeit zur Kommunikation gegeben; sie wirkt damit lebendiger und sympathischer als beispielsweise der recht seelenlose Ring aus "Der Herr der Ringe". Ihre ironischen Kommentare reizen bisweilen zum Lachen.

Das hier rezensierte Hörbuch aus dem Verlag Steinbach sprechende Bücher hat eine Laufzeit von 524 Minuten und umfasst sechs CDs. Ein wenig enttäuschend ist wieder das Booklet, das nur sehr spärliche Informationen enthält und eher einem einfachen Werbeflyer gleicht. Wie bereits im ersten Teil liest Markus Hoffmann die Geschichte. Hoffmann verfügt einerseits über eine sehr ansprechende, ruhige Art zu erzählen, zum anderen über eine hohe Bandbreite an verschiedenen Betonungen. Mit vielfach verstellter Stimme und Modulationen erzeugt der Sprecher ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Spannung beim Hörer.

Fazit: Mystisch, märchenhaft, hochspannend und auch anspruchsvoll - perfekte Unterhaltung für Zuhörer ab neun Jahren und natürlich für erwachsene Fans des Genres. Divakaruni entführt uns in eine exotische Welt voller Magie, Weisheit und wundersamer Ereignisse, die uns erfreuen, die uns staunen und mitfiebern lassen. Wer diese Trilogie noch nicht für sich entdeckt hat, hat wirklich etwas verpasst! Wie und wann die Geschichte um Anand fortgesetzt wird, steht leider noch nicht fest. Man kann also nur hoffen, dass die Autorin schnellstmöglich den dritten Teil veröffentlicht.