Ein alter Mann wird in seiner Wohnung tot aufgefunden. Rasch stellt sich heraus, dass Mord und nicht etwa Altersschwäche die Todesursache war. Konráđ, ein pensionierter Polizist, erfährt davon und beginnt, sich für den Fall zu interessieren. Denn auf dem Tisch in der Wohnung des Opfers lagen Zeitungsausschnitte zu einem Mädchenmord, der während des Zweiten Weltkrieges Reykjavik aufwühlte und mit dem auch Konráđ indirekt zu tun hatte.

Pensionierung hin oder her, Konráđ fängt an, zu ermitteln, und stößt bald auf geheimnisvolle Sagenwesen, aber ebenso auf eine Familie mit einem dunklen Geheimnis, das über Generationen bewahrt wurde. Und nicht zuletzt auf ein weiteres, spurlos verschwundenes Mädchen aus einem kleinen Ort weiter im Norden, dessen Fall erstaunliche Parallelen zu jenem des jungen Mordopfers aus Reykjavik aufweist.

Es sind persönliche Erinnerungen an den tragischen Mord an einem jungen Mädchen, die Konráđ dazu bringen, sich in die Ermittlungen bezüglich des gewaltsamen Todes des alten Thorson einzuschalten. Konráđs Vater hatte damals Geld mit betrügerischen Séancen ergaunert, und zu seinen Kunden gehörten die Angehörigen des toten Mädchens.

Parallel zu diesem Handlungsstrang verläuft ein weiterer, unmittelbar nach dem Fund der Leiche des Reykjaviker Mädchens einsetzender Strang – somit auf einer anderen Zeitebene, nämlich gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Hörer folgt hier dem amerikanischen Militärpolizisten Thorson und seinem isländischen Kollegen Flóvent bei ihren Versuchen, den Fall aufzuklären.

Es dauert nicht lange, bis Konráđ herausfindet, dass es sich bei dem ermordeten alten Mann um den erwähnten Thorson handelt, der offensichtlich nach Island zurückgekehrt ist, weil ihn der nicht aufgeklärte Mädchenmord nicht losließ.

Zwar hat der gewählte Zeitpunkt für den zweiten Handlungsstrang seinen Reiz. Isländische Mädchen verlieben sich in amerikanische Soldaten und erhoffen sich eine Zukunft in den USA, werden jedoch nicht selten enttäuscht. Zunächst verorten die Ermittler die getötete junge Frau in diesem Milieu. Doch dann wird recht schnell klar, dass es sich eigentlich um einen relativ klassischen Mord handelt, der sich zu einem sorgsam gehüteten Familiengeheimnis entwickelt. Schnüffler wie der alte Thorson sind da nicht sonderlich erwünscht.

Gut und schön, wirklich viel Neues außer Kriegsromanzen, die der deutsche Hörer in der isländischen Variante wohl noch nicht kannte, und nordischer Geister-Folklore bietet "Schattenwege" nicht. Wer die Qualität der Erlendur-Romane des Autors erwartet, dürfte enttäuscht sein, daran reicht "Schattenwege" nicht heran. Solides Handwerk, Schlüssigkeit und relativ wenige Längen gehen für einen Krimi völlig in Ordnung, doch misst der Hörer oder Leser Autoren nun einmal gerne an ihren besten Werken, und da gibt es bei Indriđason nun einmal eine hohe Messlatte. Interessant ist der Umgang mehrerer Protagonisten, darunter Konráđ, mit dem Thema Schuld in der Familie.

Beim Kürzen für die Hörbuchfassung scheinen ein paar kleine Stolpersteine entstanden zu sein, die aber das Verständnis der Handlung nicht nachhaltig stören. Möglicherweise liest Walter Kreye an einigen Stellen auch zu übergangslos, sodass Kapitelübergänge nicht immer klar ersichtlich werden und der Hörer ein paar Augenblicke benötigt, bis er den Sprung zwischen den Handlungssträngen nachvollziehen kann. Die Auflösung lässt sich ein ganzes Stück vor dem Schluss erahnen, auch wenn es innerhalb der Familie mit dem grausigen Geheimnis noch ein paar Verschiebungen gibt.

Walter Kreye liest gut und überzeugend, könnte sich aber in die jeweiligen Rollen noch besser einfinden.
Insgesamt also ein solider Krimi mit zwei Handlungssträngen, die sich am Ende berühren, interessanter Historie, einem Schuss etwas gruseliger Folklore und einem sympathischen Ermittler. Gute Unterhaltung, aber nicht überragend.

Eine Hörprobe gibt es auf der Verlagsseite zum Hörbuch.

Geliefert wird das aus vier CDs bestehende Hörbuch in einem Karton-Leporello mit Einsteckfächern für die CDs.