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Bildbände und Reiseberichte über Japan gibt es wie Sand am Meer. Doch nur wenige heben sich von der Masse ab. Die meisten bedienen die Klischeevorstellungen der Leser von Mangas, Sushi und Geishas. Japan hat weit mehr zu bieten und ist längst nicht so einfach auf unsere westlichen Bilder herunter zu fahren. "Zeit für Japan" von Gert Anhalt ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass man Japan auch differenzierter vorstellen kann.
Mit rund dreihundert bunten Fotografien und interessanten Reportagen auf 191 Seiten präsentiert der ZDF-Korrespondent Gert Anhalt seine Heimat der letzten Jahre. Er beschreibt Japan als "die größte Wundertüte der Welt. Wer sie öffnet, wird es niemals vergessen." Und es stimmt: Japan wird seine Besucher befremden, amüsieren, inspirieren und vielleicht verzaubern. Nur gleichgültig lassen wird es ihn nicht.
In "Zeit für Japan" findet der Leser keine Karatekämpfer, Bonsai-Bäume und nur wenig Geishas. Auch die Sumo-Kämpfer treten auf Anhalts Bildern und in seinen Reportagen nicht gegeneinander an, sondern bringen Babys zum Weinen. Bei diesem Kreischwettbewerb, Naki-zumo genannt, der eine ebenso alte Tradition wie der Sport selbst hat, übergeben Eltern ihre im letzten Jahr geborenen Kinder an die übergewichtigen Fremdlinge, was bei den überaus mutterfixierten Nachwuchs meist dazu führt, dass es anfängt zu schreien. Wer zuerst in Tränen ausbricht, hat deswegen gewonnen. Ein altes japanisches Sprichwort besagt nämlich, dass nur ein schreiendes Kind ein gesundes Kind ist.
Dem Journalisten gelingt es, interessante Einblicke in das unbekannte Japan zu geben, in ein Land mit wunderschönen Straßenfesten (Matsuri) und herzenswarmer Freundlichkeit, in ein Land in dem unsere vierbeinigen Freunde Anti-Aging-Creme und Hundefutter mit Gemüse aus biologischem Anbau erhalten und ihre Besitzer mit Freude an Essens- und Rehfutter-Weitwurf-Wettbewerben, sowie Welches-Haustier-sieht-seinem-Besitzer-am-ähnlichsten-Wettbewerb teilnehmen. Das Buch gibt viele Möglichkeiten zum Schmunzeln.
Japan-Kenner werden sich wohl schon im ersten Kapitel "Augen auf, Ohren zu - und durch!" ein Lächeln des Widererkennens kaum verkneifen können. Hier wird beim Schnellgang durch Tokio die typische Geräuschkulisse der Millionenmetropole beschrieben: Presslufthammer, Durchsagen eines Fahrers, der seine Navigationsabsichten kundtut, Sirren der Zikaden und Rabenkrähen, Düsenjägermotor und die vielen, vielen, vielen Lautsprecherdurchsagen, die auf Sonderangebote aufmerksam machen sollen.
Anhalt beschreibt nicht nur die andere Lebensweise, sondern wertet auch aus der Perspektive des Nichtjapaners. Dabei wirken seine Urteile jedoch nie überheblich oder intolerant. Im Gegenteil: Sie wecken bei dem Leser Verständnis für die fremde Kultur und lassen immer wieder den tiefen Respekt erahnen, den der Autor dem Land entgegenbringt. Anhalt spricht sowohl positiv Konnotiertes der japanischen Kultur an, wie die kulinarischen Köstlichkeiten, die alte Badetradition oder die Verbundenheit von Tradition und Moderne; er scheut sich jedoch auch nicht, Negatives anzusprechen, zum Beispiel die mitunter durch Platzmangel und den Bau überirdischer Stromleitungen hässlichen Stadteile. Vor allem erwähnt er auch soziale Probleme wie die überproportional hohe Selbstmordrate der Japaner und der traurigen Realität, dass es sogar einen Lieblingswald für Selbstmörder in der Nähe von Tokio gibt.
Leider hat das ansonsten so ansprechende und inhaltlich lobenswerte Buch einen formalen Mangel: Der Einband ist nicht besonders stabil gestaltet und löst sich beim Blättern leicht auf. Trotz allem ist die Anschaffung empfehlenswert, weil das Buch ein realistisches Bild vom aktuellen Japan zeigt. Im Land der aufgehenden Sonne gibt es natürlich Mangas, Sushi und Geishas, aber es hat noch so viel mehr zu bieten. Anhalt wird den Leser mit seinem Buch überraschen, Dinge aus und über Japan erzählen, die er noch nicht gewusst hat und dazu Bilder zeigen, die er nicht oder noch nicht so oft gesehen hat. Yokoso - Willkommen in Japan!