Nett gestaltet ist er ja. Der Ratgeber "Knigge für moderne Frauen" von Birgit Adam springt der Leserin sofort mit einem originellen Cover ins Auge. Eine modisch gekleidete und geschminkte Frau in gezeichneter Form mit Sturmfrisur, Stöckelschuhen und feschem Handtäschchen sitzt lässig in einem knallroten Sessel. Jemand prostet ihr mit einem Cocktailglas zu, und auf dem Tisch vor ihr befindet sich ein Tablett mit bunten Sushi und einer dampfenden Tasse heißen Getränks.

"Weiblich, stilvoll, souverän" wirkt die Titelbild-Frau und genau so lautet auch der Untertitel des Buches. Gespannt beginnt man die Lektüre, "denn wer die Grundregeln der Etikette beherrscht, hat mehr Erfolg im Leben und im Beruf", erklärt Adams. Frauen werden Benimm-Sünden allerdings nach wie vor nicht so leicht verziehen wie Männern. Obendrein hätten viele selbstbewusste, moderne Frauen Probleme mit den etablierten Benimmregeln. Doch so verwirrend die Regeln der Etikette manchmal auch seien, es bestünde Hoffnung, denn gute Umgangsformen könne man lernen - und man müsse dabei keineswegs den eigenen Charakter verbiegen.

Bei solchen Worten ist die Erwartungshaltung der Leserin natürlich hoch - und wird dann nicht erfüllt. Erfolglos sucht sie nach wirklich neuen Informationen in diesem speziell auf Frauen ausgelegten Knigge. Unter anderem erfährt sie im Kapitel "Job-Knigge", dass im Bewerbungsgespräch kein Alkohol getrunken werden darf, in "Der gute Ton im Privatleben", dass man zu einer Verabredung nicht zu spät kommt, in "Kommunikation mit Stil" dass Politik und Religion keine guten Small Talk-Themen sind, in "Einladungen und Restaurantbesuche", dass in Deutschland Trinkgeld gegeben wird und im "Auslands-Knigge", dass der Hotelaschenbecher nicht geklaut werden darf.

Sind diese Benimmregeln nicht jedem Menschen klar? Mitunter entsteht das Gefühl, dass sich der Ratgeber an soziale Trampel wendet, die ihre Mitmenschen pausenlos stören, verletzen und beleidigen. Würde sich diese Sorte Mensch denn überhaupt einen Knigge kaufen? Einzig im Kapitel "Einladungen und Restaurantbesuche" finden sich ein paar interessante Hinweise zum Verzehr ungewöhnlicher Speisen. Doch die Beschreibung zum Umgang mit Artischocken ("Zupfen Sie die Blätter einzeln mit den Fingern ab, tunken Sie sie in die Sauce und ziehen Sie sie dann mit der fleischigen Seite durch die Zähne, so dass sie nur noch das Blatt in den Fingern halten.") ist genauso abstrakt wie die Erklärung der Gedeckanordnung ("Das Glas für das Getränk, das zum Hauptgang vorgesehen ist, steht über der Spitze des zum Hauptgang gehörenden Messers."). In solchen Fällen wären Zeichnungen zur besseren Verständlichkeit sinnvoll gewesen.

Jedes Kapitel schließt mit einem Test, mit dem das "erlernte Wissen" abgefragt wird. Auch ohne das Buch zu lesen, sind fast alle Fragen problemlos zu beantworten, vorausgesetzt man ist kein sozialer Trampel. So hat der insgesamt äußerst informationsarme Ratgeber nur einen Vorteil: Die normale Leserin steigert bei der Lektüre sofort ihr Selbstbewusstsein, denn sie scheint ja keine Benimm-Tipps mehr zu brauchen: Sie ist bereits vollkommen weiblich, stilvoll und souverän. Wow!