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Deutschland 1945: Das Land ist ein Trümmerfeld. Familien sind zerrissen, weil Ehemänner oder Söhne gefallen, vermisst oder in Gefangenschaft geraten sind, oder weil Familienmitglieder, meistens Kinder, auf der Flucht verloren gegangen sind. Oftmals befinden sich Ehepartner oder Eltern und Kinder in unterschiedlichen Zonen und haben trotz aller Sehnsucht große Schwierigkeiten, ein Wiedersehen zu erreichen. Essen und andere Dinge des täglichen Bedarfs gibt es nur auf Marken und immer zu wenig. Wohnraum ist knapp, Arbeit ebenso.
Einfallsreichtum gehört zu den wichtigsten Eigenschaften der Menschen in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Das Notwendigste zu "organisieren", gewagte Grenzübertretungen, Geschick im Umgang mit den Besatzern muss jeder lernen. Manche verlieren jegliche Skrupel und entwickeln kriminelle Energie, die meisten finden halblegale Wege, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Die Trümmerfrauen machen aus Schutt neues Baumaterial. So sehr es erstaunen mag: Die Blicke der Menschen, von denen viele alles einschließlich Angehöriger verloren haben, sind nach vorn gerichtet.
Die Anthologie "Also packten wir es an" enthält 43 Beiträge von Zeitzeugen der Jahre 1945 bis 1949. Deren Berichte und Erzählungen wirken so bunt wie die unterschiedlichen Hintergründe der Erzähler selbst. Mancher ehemalige Soldat hat eine abenteuerliche Flucht aus Kriegsgefangenenlagern hinter sich und muss dann noch heimlich eine Zonengrenze überwinden, um, zur Unkenntlichkeit abgemagert, endlich seine Familie in die Arme schließen zu können - darunter manchmal kleine Kinder, die den Vater noch gar nicht kennen und sich vor dem "fremden Mann" fürchten. - Einige in Frankreich internierte junge Kriegsgefangene melden sich freiwillig zum Minensuchdienst. Viele von ihnen sterben qualvoll oder werden verstümmelt, als der französische Kommandant mit seinen Kenntnissen prahlen will und versehentlich hundert gefundene Minen auf einmal zündet.
Ein junges Mädchen findet seine Tante völlig verwahrlost und kurz vor dem Verhungern in einem Sperrgebiet und nimmt sie mit zur Familie. Die Tante ist derart traumatisiert, dass sie nur noch stammeln kann: "Wenn das Papa wüsste." Was mag sie Entsetzliches erlebt haben? Bald nach der Heimkehr stirbt sie, nach wie vor stumm. - Eine andere junge Frau baut mit einer Freundin im Dorf eine Typhusstation auf, um die Kranken zu isolieren und zu behandeln. Eine Schwesternhelferin stirbt selbst an der Krankheit, aber die todesmutigen Mädchen arbeiten weiter bis zur Erschöpfung.
Nicht minder anrührend ist die Geschichte des fünfzehnjährigen Jungen, der unter völlig aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen von den Russen eingesperrt wird und ohne Prozess Jahre im Lager verbringt. Viele Leidensgenossen überleben die Lagerhaft mit Hunger und Krankheiten nicht.
Viele weitere Erzählungen könnte man als Höhepunkte anführen. Nicht alle sind so hochdramatisch, viele thematisieren einfach nur die Chuzpe und den Ideenreichtum, die Bereitschaft zu spontanen Entschlüssen und den unbändigen Lebenswillen, die in jenen Jahren vonnöten waren, wenn man irgendwie überleben wollte. Aus den erstaunlichsten Materialien ließ sich etwas Brauchbares herstellen, so aus einer Hakenkreuzfahne allerlei Kleidung, wenn man das Emblem abtrennte und verbrannte, eine eklig schmeckende, aber einigermaßen nahrhafte Suppe aus einer abenteuerlichen Mischung von Zucker, Grütze und Soßenpulver, die sich bei der Massenplünderung eines Lastkahns vereinigt hatten, und Fahrräder aus irgendwo gefundenen Einzelteilen.
Die Zeitzeugen berichten sachlich, ohne zu moralisieren und ohne Selbstmitleid, immer jedoch sehr lebendig und packend, von ihren Erlebnissen und Erfahrungen, von Stimmungen, Ängsten und Freuden. Mit dem Kriegsende war die Talsohle für die meisten Deutschen nicht erreicht, doch nun gab es die Möglichkeit, in relativer Freiheit das Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen, soweit die äußerlichen Bedingungen das zuließen.
Oft diente die Liebe als Triebfeder für mutige und aufopfernde Handlungen, und sie ist auch bei den zurückhaltendsten Erzählern immer spürbar. Der Gedanke an die Familie machte das Überleben unter widrigsten Umständen möglich und erstrebenswert - eine Einstellung, die den Nachkriegsgenerationen fremd geworden ist.
Wenn man diese Berichte auf sich wirken lässt, lernt man, insbesondere als jüngerer Mensch und Wohlstandsbürger, viel über das Leben und die Elemente, die darin wirklich bedeutsam sind. Vor allem aber erfährt man, dass sich dort, wo ein Wille ist, fast immer ein Weg auftut. Man muss nur die Augen offen halten, um ihn zu sehen.
Viele Fotos und Abbildungen persönlicher Dokumente machen die geschilderte Vergangenheit noch greifbarer. Die zu Anfang aufgeführte Chronologie der geschilderten Epoche hilft, die einzelnen Erzählungen in den historischen Kontext einzuordnen.
Dieses Buch spiegelt eine harte Zeit voller Herausforderungen anhand unterschiedlichster individueller Erfahrungen wider, eine Zeit, in der Scheitern und Hoffnung so dicht beieinander lagen wie vielleicht nie zuvor.