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 Aachen - Berlin - Königsberg

Eine Zeitreise entlang der alten Reichsstraße 1


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis


Alles begann mit einem Straßenschild, das die englische Journalistin Patricia Clough vor vielen Jahren in Aachen entdeckte: "KÖNIGSBERG 100 km" - ein Schild, das sie nicht nur wegen des Mangels an politischer Korrektheit erstaunte, schließlich wurde Königsberg nach dem 2. Weltkrieg in Kaliningrad umbenannt; welcher Zusammenhang bestand zwischen Aachen und Königsberg?
Neugierig geworden, begann Patricia Clough zu recherchieren. Sie stieß auf die von den Nationalsozialisten fertig gestellte Reichsstraße 1, die von Aachen über Berlin und Königsberg bis nach Eydtkuhnen (heute Tschernyschesvkoje) an der litauischen Grenze führte. Der Ursprung dieser nördlichen West-Ost-Achse des Reichs ist jedoch viel älter, denn der Handelsweg vom belgischen Brügge zum russischen Nowgorod, von dem sie ein wichtiger Teil war, besaß im Mittelalter große Bedeutung und geht in die Römerzeit zurück.
Patricia Clough bereiste die ganze Route, die einst zum Deutschen Reich gehörte, und ließ sich von der Geschichte und den Menschen inspirieren, denen sie unterwegs begegnete.
Die Geschichte der Orte an der alten R 1 ist so vielfältig und von Brüchen gekennzeichnet wie die Vergangenheit ganz Mitteleuropas. Wer weiß schon, dass die Karnevalsaktivitäten um Aachen und Köln früher ein Mittel waren, zuerst die preußischen und dann, unter Napoleon, die französischen Besatzer zu verspotten? An der R1 liegt auch der Teutoburger Wald, der das Ende der Romanisierung Germaniens repräsentiert. Patricia Clough findet in der Heide eine interessante Symbiose zwischen Kreuzkröten und britischen Panzern, geht dem mittelalterlichen Mythos des Rattenfängers von Hameln nach, dessen Spur zur Ostkolonisierung führt, entdeckt einen während der Nazizeit zerstörten jüdischen Friedhof, der tragische Geschichten erzählen kann, und stößt schließlich auf die frühere innerdeutsche Grenze. Auf dem Weg nach Berlin sind es dennoch nicht nur die DDR, die Stasi und der Kalte Krieg, deren Stempel die Autorin den Ortschaften anmerkt und wovon ihr Zeitzeugen erzählen, sondern beispielsweise auch ein vergessener, dreihundertjähriger Postkrieg zwischen den Thurn und Taxis und Preußen. Dass Berlin aufgrund seiner bedeutsamen und tragischen Vergangenheit mehrere Kapitel gewidmet sind, verwundert nicht.
In Polen begegnet Patricia Clough ständig dem Spannungsfeld zwischen polnischer und deutscher Geschichte, das mittlerweile ein wenig entschärft wirkt. Viele Polen interessieren sich für die von der deutschen Kultur geprägten Abschnitte der Geschichte ihrer Städte und sehen den Deutschen Orden nicht mehr so negativ. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte hat auch in Kaliningrad begonnen, jener ehemals ostpreußischen, heute russischen Enklave, die mittlerweile geradezu von EU-Staaten eingekreist ist und sich ihnen geöffnet hat.

Die Autorin erklärt am Ende des Buchs, dass sie aus Platzgründen viele interessante Eindrücke ihrer sehr persönlichen Reiseschilderung weglassen musste und auch nicht alle bedeutsamen Orte einbinden konnte. Das stimmt natürlich. Trotzdem ist es ihr gelungen, ein spannendes und höchst abwechslungsreiches Buch zu verfassen, das einen Eindruck von den zweitausend Jahren hauptsächlich gemeinsamer, oft aber durch Kriege und unterschiedliche politische Konstellationen zerrissener Kultur und Geschichte des nördlichen Mitteleuropas vermittelt. Clough besitzt die Gabe, den großen, übergreifenden historischen Kontext und lokale Besonderheiten einander gleichberechtigt gegenüberzustellen und vor allem auch Orte zu finden, die über Jahrhunderte viel Geschichte "gesehen" haben, wie etwa ein in sechster Generation geführtes Gasthaus an einer Brücke nahe Potsdam, über deren Vorgängerin desertierende "Lange Kerls" des Großen Kurfürsten flohen und später dreihundert Soldaten von Napoleons geschlagener Russlandarmee in kläglichem Zustand zurückkehrten, und wo sich einige namhafte Künstler und Dichter aufhielten. Zeitzeugenberichte und repräsentative Einzelschicksale lockern geschichtliche Abrisse auf und ergänzen sie durch ihre Individualität auf ebenso interessante Weise wie Cloughs Schilderungen ihrer Suche nach dem heute zum Teil nicht mehr leicht nachvollziehbaren Verlauf der alten Reichsstraße und dem Schicksal mancher Streckenabschnitte.
Als Britin hat sich die Autorin zunächst schwergetan, die Probleme der Deutschen mit ihrer Geschichte zu verstehen, doch gerade deshalb hat sie sich intensiver und weniger voreingenommen damit befasst, als wir es häufig vermögen, und kann die Wechsel zwischen Nationalsozialismus und Römerzeit, Kommunismus und Mittelalter oft rasch und unbedenklich vollziehen.
Ein paar Fotos und historische Abbildungen hätten das Buch sicherlich ideal ergänzt, auch wenn die Autorin Orte anschaulich zu beschreiben weiß.
Diese Reisebeschreibung bietet einen spannenden, individuell gestalteten Überblick über die Geschichte nicht nur einer zweitausend Jahre alten Handelsstraße und der ihr angeschlossenen Orte, sondern auch über die tragischen Verwicklungen der deutschen und mitteleuropäischen Geschichte, und zeigt hoffnungsträchtige Versuche eines versöhnlichen Miteinanders auf.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 01. Januar 2007 | ISBN: 9783421042101 | Preis: 19,95 Euro | 224 Seiten | Sprache: Deutsch

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