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"Nicht klagen, kämpfen! Mittelstandsgeldanlagen schaffen Arbeitsplätze und gute Renditen" - was zur Hölle mag sich hinter diesem obskuren Titel verbergen? Man müsste lange raten, um darauf zu kommen, dass es sich hierbei nicht um das aktuellste 10-Punkte-zum-schnellen-Geld-Erfolgsprogramm irgendeines Finanzgurus oder um einen Wirtschaftsratgeber für den Mittelstand handelt, sondern um die ganz persönliche Biographie des ostdeutschen Modelleisenbahnherstellers Roland Kehr. Ein bisschen Ratgeber steckt da auch drin, aber man sollte nicht mit falschen Erwartungen an dieses Buch herantreten - in allererster Linie erzählt hier Roland Kehr seine Lebensgeschichte. Das fängt mit dem Aufwachsen in der jungen DDR an, beinhaltet die Zeit bei der NVA, persönliche Familienverhältnisse, Schwierigkeiten mit dem Staat und vor allem die Zeit nach der Wende, die Selbstständigkeit mit dem eigenen Modellbahnbetrieb KEHI und die enormen Schwierigkeiten dabei, sich im vereinten Deutschland finanziell über Wasser zu halten. Die Biographie einer ganz normalen Person also wie du und ich. Fragt sich nur: Wer möchte das denn lesen? Wenn man ernsthafte wirtschaftliche Ratschläge haben möchte, tätigt man mit "Nicht klagen, kämpfen!" wahrscheinlich einen Fehlkauf. In der Einleitung kommt Kehr kurz auf seine Idee der Mittelstandsgeldanlagen zu sprechen, aber nur auf den letzten acht Seiten stellt er sie halbwegs detailliert dar. In Kürze: Nach seiner Theorie müssen die sparwütigen Deutschen, anstatt in sichere Sparbücher einzuzahlen, sich ein bisschen risikofreudiger verhalten und in mittelständische Unternehmen investieren, die dadurch neue Arbeitsplätze schaffen können und die gesamte Wirtschaft wieder ankurbeln. Inwiefern das theoretisch funktionieren könnte, muss wohl ein Wirtschaftswissenschaftler beantworten, in jedem Fall ist es eine sehr blauäugige, ja fast schon naive Idee, wenn auch eine gut gemeinte. Für Wirtschaftsinteressierte ist das Buch also uninteressant - und was kann der Rest der Bevölkerung dieser Lebensgeschichte abgewinnen?
Roland Kehr hat in seinem Leben offensichtlich viel durchmachen müssen. Die schiere Masse der beschriebenen Rückschläge, die er mit seinem kleinen Unternehmen in der zweiten Hälfte des Buchs erleiden muss, ist schon fast irreal. Erstaunlich, wieviel Pech ein Mensch haben kann, wobei einige Schnitzer durchaus auch auf die bereits erwähnte Blauäugigkeit zurückzuführen sein könnten. Mit seinem eisernen Durchhaltevermögen angesichts soviel Unglücks und mit den Erzählungen über das harte Leben in der DDR möchte Kehr dem Leser jedenfalls augenscheinlich Mut machen. Das Zynische daran ist, dass all dieses Durchhalten offensichtlich nicht zu viel geführt hat - am Ende des Buchs scheint es Kehr nicht wirklich besser zu gehen als am Anfang. Mut macht das keinen. Die erste Hälfte seines Buchtitels beherzigt er dagegen nicht wirklich, denn geklagt wird in diesem Buch an allen Ecken und Enden - über die arroganten Wessis, über die Rauheit der Gesellschaft, über das Unverständnis gegenüber der eigenen Vergangenheit und so weiter. Auf die zahlreichen Abschweifungen und Tipps, wo man denn nett Essen gehen und Urlaub machen kann, hätte man dabei übrigens gut verzichten können. Das Ganze hat so ungefähr den Charme einer Stammtischrunde in der Kneipe, wo Opa Anekdoten aus dem eigenen Leben erzählt - jaja, so war das damals, im Osten. Nun wird jeder, der ebenfalls in der DDR aufgewachsen ist, eine ähnliche Geschichte erzählen können, zumindest, was die erste Hälfte des Buchs angeht. Oder man kann seine Eltern fragen. Wessis bekommen zwar einen Einblick erster Hand in den Arbeiter- und Bauernstaat, sehen sich aber gleichzeitig stets unterschwellig oder offen mit dem anklagenden Zeigefinger konfrontiert - und will man sowas lesen? Eher nicht, allein schon deswegen, weil Kehrs Schreibstil einfach unerträglich ist. Wortwiederholungen an allen Ecken und Enden, mieser Satzbau, staubtrockene Erzählungen, kein Sinn für das geschriebene Wort. Man hätte nicht gedacht, dass dieses Buch jemals an einem Lektor vorbeigetragen worden wäre, am Anfang ist jedoch jemand aufgeführt - wie peinlich! Als Beispiel soll einfach mal folgender Satz von Seite 104 dienen: "Frau Günther war eine ganz liebe Kollegin, leider verlor sie durch Tod ihren Mann auf der Messe viel zu früh." Ohne Worte!
Wer über sowas hinwegsehen kann und sich für das Leben in der DDR oder als Selbstständiger im wiedervereinten Deutschland interessiert, der könnte "Nicht klagen, kämpfen!" eine Chance geben. Als Stück echter deutscher Zeitgeschichte hat das Buch durchaus einen gewissen Wert, und es ist auf morbide Weise faszinierend, zu lesen, was einem einzelnen Menschen alles an Unglück widerfahren kann. Doch leider wird sich dieses Buch letztendlich nur in die lange Reihe der Rückschläge und Fehltritte des Roland Kehr traurig einreihen.