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In ihrem work-in-progress-Stück "Bambiland" beschwört Elfriede Jelinek ein babylonisches Stimmengewirr zum Irakkrieg herauf. In einer Montage aus Medienbruchstücken, Aischylos, Nietzsche und sonstigen Zitaten werden Textflächen geschaffen, die die Sprache und die Wahrheit wegbrechen lassen. Im Vorwort schreibt sie: "Meinen Dank an Aischylos und die "Perser", übersetzt von Oskar Werner. Von mir aus können sie auch noch eine Prise Nietzsche nehmen. Der Rest ist nicht von mir. Er ist von schlechten Eltern. Er ist von den Medien." Der Irak-Krieg hat deutlich gemacht, wie sehr die Medien heute die Meinungen gleichschalten, und Elfriede Jelinek findet sich in ihrem Aufschrei gegen die "Gleichschaltung der Gefühle" (Virilio) in guter Gesellschaft. Zahlreiche europäische Intellektuelle exponierten sich 2003 gegen das Vorgehen der USA.
Einer davon ist Paul Virilio. In seinem neuen Essay-Band "Panische Stadt" beschreibt er den Irak-Krieg nicht als ein isoliertes Phänomen, sondern als eine allgemeine, tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung, zu der dieser Krieg oder der 11. September ein Puzzleteil sind. "Die Massenvernichtungswaffe untersteht der Waffe der Massenkommunikation", so Virilio im dem Essay "Die Gefühlsdemokratie". Ein Krieg ohne diese "schlechten Eltern" ist heute nicht mehr denkbar. Oder wie Virilio George W. Bush zitiert: "Durch eine Kombination imaginativer Strategien und fortschrittlicher Technologien definieren wir den Krieg für uns neu". Der Krieg ist zu einem Infowar geworden, Jelinek formuliert es etwas zynischer als Wartainment. Damit gelangt man allmählich zu dem Zentrum, um das sich Virilios Essays drehen: der Virtualisierung. Darin sieht er die Revolution (im ursprünglichen, naturwissenschaftlichen Wortsinne von Umwälzung), die sich vollzieht.
Diese Umwälzung hat nachhaltige Auswirkungen auf den Raum, auf das Raumgefühl. Die Kriege der Gegenwart werden nicht mehr auf realen Schlachtfeldern geführt, die Feldherren stecken keine Fähnchen mehr auf Pläne. Der Ort der Kriege ist heute der virtuelle Nicht-Ort, sind die Massenkommunikationswaffen. Wurde im 19. Jahrhundert der Raum erschlossen, so hätten sich die Veränderungen des 20. Jahrhunderts in der Übertragungstechnik vollzogen. Es hätte ihn, schrieb Virilio in seinem früheren Essayband "Rasender Stillstand", zutiefst irritiert, als in der Pariser Metro Spiegel an die Stelle der Bildschirme gesetzt wurden. Damit bietet er eine Erklärungslinie, auf der auch die permanente Virtualisierung der menschlichen Beziehungen beispielsweise in Internet-communities liegt.
Die Veränderungen der Gegenwart sind Veränderungen des Raumes. Durch Fortbewegungsmittel, durch Technik wie Teleobjektive und vor allem durch die Virtualisierung wird der Raum zunehmend zerstört. "Nur wer die Straße geht, erfährt von ihrer Herrschaft", schrieb Walter Benjamin. Durch die Metro in Paris, schreibt Virilio in seinem Essay "Tabula rasa", durch das Eintauchen in den Untergrund und das Wiederauftauchen an anderer Stelle, wird der kontinuierliche Raum zerstört und es entsteht ein Flickenteppich, die den Passagier orientierungslos zurücklässt, "der Realraum des Sehsinnes kollabiert in der Metro unter dem Andrang des virtuellen Raumes".
Die Städte entwickeln sich, so Virilio in dem titelgebenden Essay "Panische Stadt", von Mega- zu Metastädten, ein Vorgang, den Henri Lefébvre als "Verstädterung der Gesellschaft" zu beschreiben suchte, die Geopolitik wandelt sich zu einer Metropolitik. Zugleich findet ein Niedergang der Metropolen statt, die Abschottung in festungsähnlichen Siedlungen, in die sich die Wohlhabenden in Amerika und in Südamerika zunehmend zurückziehen. Damit erfolgt eine Umkehrung des Prozesses, den die Städte mit der Industrialisierung erfahren haben. Zugleich sind diese (post)modernen Festungsstädte paradoxer Ausdruck der permanenten Panik, in die die westliche Welt seit dem 11. September versetzt ist. Beteuerungen und Maßnahmen gegen die Panik verstärken diese nur noch. Und damit kann der Leser bei sich anschließen, bei seinen Medien.
Die Welt befindet sich also einerseits in einem permanenten Belagerungszustand, während zugleich eine Revolution durch die ungeheure Virtualisierung stattfindet - die die Panik nur verstärkt. Virilio trägt dies alles in einem brillanten essayistischen Ton vor. Er versteht es, den Leser durch anekdotische Einsprengsel zum Schmunzeln oder zum Schaudern zu bringen. Dass sein Buch auch ein Medium ist, darüber reflektiert er nicht. Darin liegt der Vorteil von Jelineks "Bambiland", in dessen Collage sie zugleich das Medium in die Betrachtung miteinbezieht. Dennoch: Paul Virilios Essayband ist großartig und versucht in seiner Deutung einzufangen, was die Welt beschäftigen sollte. Während diese vor dem Fernseher sitzt oder noch eben in einer Internet-community eine Freundschaftseinladung verschickt.