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Über die Sommermonate besucht die junge, bildschöne Lili ihre geliebte Tante, die Hofrätin Fall, von Lili liebevoll "Tante Bärbchen" genannt. Die alte Dame besitzt ein altertümliches, ländlich gelegenes Haus. Auf dem unmittelbar angrenzenden Grundstück steht ein prächtiger, burgartiger Neubau, der vor allem durch einen hoch aufragenden Turm besticht. Mit dem dort lebenden Nachbar verbindet die Hofrätin ein schon seit Generationen schwelender Familienstreit, der es ihr trotz ihrer herzlichen und großzügigen Art unmöglich macht, ein freundschaftliches Verhältnis zueinander zu pflegen.
Die Familienfehde fällt wie ein Schatten auf den Sommer, den die zarte, elfenhafte Lili im Haus der Tante verbringt. Das Haus des Nachbarn ist unheimlich, und es geht das Gerücht, dass er im Turmzimmer eine Frau gefangen hält. Als Lili schließlich dem Hausherrn, dem "Blaubart", wie er insgeheim genannt wird, gegenüber steht, kann sie nicht umhin zu bemerken, wie stattlich und gutaussehend er ist. Lili fühlt sich hin- und hergerissen zwischen der entflammenden Schwärmerei für den ja eigentlich verfeindeten Nachbarn und der Loyalität zur geliebten Tante, die sich jedes Wort über das angrenzende Haus verbittet.
Eugenie Marlitt, geboren 1925, veröffentlichte viele ihrer Erzählungen und Romane in der Familienzeitschrift "Die Gartenlaube" - ein Vorläufer heutiger Illustrierter mit einer sehr hohen Auflage - und erlangte dadurch einigen Ruhm. Auch die Erzählung "Blaubart" wurde in der "Gartenlaube" veröffentlicht. Die Geschichte ist in einer leicht gekürzten Fassung als Lesung im SoloVerlag für Hörbücher erschienen; vorgetragen wird der Text von Heikko Deutschmann.
"Blaubart" weckt allein durch den Titel Assoziationen und Spannung beim Hörer - wir erinnern uns: Im schaurigen Märchen von Blaubart ermordet ein König gleich reihenweise seine Ehefrauen und bewahrt die Leichen in einem Turmzimmer auf. Allerdings findet man solcherlei spannende oder gar grausame Begebenheiten in Marlitts Erzählung nicht. "Blaubart" ist vielmehr ein Sittengemälde der damaligen Zeit, zweifellos sprachlich sehr schön und detailliert erzählt, jedoch aus heutiger Sicht auch sehr betulich und fast ereignislos.
Der zarte Hauch des Unheimlichen, der Lili befällt, wenn sie nach dem Turmzimmer blickt, wenn sie des Nachts Musik hört oder eine Gestalt im Turmzimmer sieht, wirkt aus heutiger Sicht eher bedeutungslos, vergleichbar mit den sehr zurückhaltend-schaurigen Ereignissen aus Fontanes Werk Effi Briest. Lili steht an der Schwelle vom Mädchen zur Frau, sie hat zwar noch ihre heißgeliebten Puppen, fühlt sich aber gleichzeitig zu alt für solcherlei Dinge, weil sie in dem Sommer bei Tante Bärbchen den ersten Kampf mit ihrem Herz ausfechten muss. Nebenbei wird auch das alte Familiengeheimnis um die verfeindeten Familien gelüftet, es ist allerdings wenig spektakulär. "Blaubart" strotzt vor Romantik, vor weitschweifigen und anrührenden Beschreibungen der Gemütszustände der auftretenden Personen. Das ist nett anzuhören, aber auch anstrengend - und, man wagt es kaum zu schreiben, langweilig, weil es an die Pflichtlektüren erinnert, die man in der Schule lesen musste. Würde nicht Heikko Deutschmann die doch recht langatmige Erzählung vortragen, wäre man wohl hoffnungslos verloren; durch seinen ruhigen, wohlklingenden Vortrag gewinnt die Geschichte aber doch noch einiges.
"Blaubart" ist keine zeitlose Geschichte und man muss sich wirklich für die damalige Zeit und die damalige Art des Schreibens und Erzählens interessieren, um dem Hörbuch mit gleichbleibender Aufmerksamkeit zu lauschen, denn es passiert 170 Minuten lang ausgesprochen wenig.
Sehr schön anzuhören ist auf jeden Fall die Sprache, mit der Marlitt die Geschichte erzählt, denn sie lässt alles Beschriebene ausgesprochen deutlich vor dem Auge des Zuhörers entstehen. Ein Abbild der gehobenen deutschen Gesellschaft Mitte des 19. Jahrhunderts, das für Fans dieser Epoche und Erzählweise sicher reizvoll ist.