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 Die Dopingfalle

Soziologische Betrachtungen


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Wenn - wieder einmal - ein Dopingsünder entlarvt wird, teilt sich die sportinteressierte Öffentlichkeit regelmäßig in zwei Fraktionen, nennen wir sie die idealistische und die zynische. Die Idealisten empören sich über "dieses Schwein”, die Zyniker gehen davon aus, dass ohnehin jeder erfolgreiche Sportler gedopt sei und dass die gedopten sich von den angeblich sauberen nur dadurch unterschieden, dass sie dumm genug gewesen seien, sich erwischen zu lassen.

Bette und Schimank haben mit "Die Dopingfalle. Soziologische Betrachtungen” (Bielefeld 2006) eine soziologische Analyse vorgelegt, die auf den ersten Blick den Zynikern Recht zu geben scheint. Sie stellen nüchtern fest, dass Doping zu weit verbreitet ist, um noch mit bloßen Charakterschwächen Einzelner erklärt werden zu können. Die von Sportfunktionären gern bemühte Metapher von den "schwarzen Schafen” ist demgemäß bestenfalls naiv.

Doping, dies die These von Bette/Schimank, wird von den sozialen Strukturen, in denen moderner Spitzensport stattfindet, nicht nur begünstigt, sondern geradezu herausgefordert. Da ist zunächst der Athlet selbst: Will er zur Weltspitze gehören, so muss er sein gesamtes Leben den Anforderungen des Sports unterordnen, sich mit Haut und Haaren der Athletenrolle verschreiben und auf außersportliche Berufsoptionen ebenso verzichten wie auf ein normales Privatleben. Der Athlet geht damit ein enormes biographisches Risiko ein: Scheitert er nämlich als Sportler, dann steht er als Dreißigjähriger vor dem Nichts.

Alle Athleten stehen daher unter dem Zwang, das Scheitern zu vermeiden (wobei es in der Natur der Sache liegt, dass viele scheitern müssen), und alle Athleten wissen das auch voneinander. Je größer die Zweifel an der Ehrlichkeit der Konkurrenz, desto größer der Anreiz, dem unterstellten Doping anderer durch eigenes Doping, also defensiv, zu begegnen. Da dies wiederum alle voneinander wissen (”Er glaubt, ich dope, also dopt er, also muss ich ebenfalls dopen”), kann Doping buchstäblich aus dem Nichts entstehen und selbst von solchen Sportlern praktiziert werden, die solche Praktiken an sich ablehnen.

Dabei ist der Sportler nur das letzte Glied einer Kette von Akteuren, die alle dazu beitragen, den strukturellen Zwang zum Doping zu verfestigen, die aber den Sportler (”das schwarze Schaf”) als Sündenbock benutzen, wenn er erwischt wird.

Da ist zunächst das unmittelbare Umfeld - Trainer, Vereine, Mediziner und so weiter, die vom Erfolg des Athleten selbst abhängig sind und entsprechenden Erfolgsdruck aufbauen. Da ist der Verband, der nur die erfolgreichen Sportler fördert. Dieser Verband steht seinerseits unter Druck: Spitzensport funktioniert nur, solange Sponsoren zahlen, Politiker knappe Haushaltsmittel lockermachen, das Fernsehen überträgt und die Zuschauer jubeln. Dies alles geschieht nicht, wenn die Erfolge ausbleiben.

Der Sportler, der glaubt, dopen zu müssen (weil die anderen auch …), der Verband, der das dulden zu müssen glaubt (weil die konkurrierenden Verbände auch …), kann die Aufforderung (der Wirtschaft, der Politik, der Medien, des Publikums) gleichzeitig erfolgreich und sauber zu sein nur als stillschweigende Aufforderung verstehen: "Betrügt uns!” - ist doch der Misserfolg in jedem Fall mit massiven Sanktionen bedroht, Doping dagegen nur, sofern es auffliegt (und auch dann nur für den Athleten selbst).

Die sich aufdrängende Strategie ist in einer solchen Situation die Heuchelei. Der Verband versichert, alles gegen Doping zu unternehmen, lässt es aber bei Scheinaktivitäten bewenden, die gerade ausreichen, damit die Dümmsten - aber eben nur die! - den Kontrolleuren ins Netz gehen, was dann wiederum der "Beweis” ist, "dass die Kontrollen greifen”, während die raffinierteren Betrüger weiterdopen.

Wer durchaus will, kann "Die Dopingfalle” als Bestätigung der Zynikerthese lesen, einen sauberen Spitzensport gebe es nicht. Die Autoren selbst teilen diese These nicht und führen eine Reihe von Faktoren an, die dem Doping entgegenwirken: außergewöhnliches Talent, die Abschreckungswirkung von Dopingkontrollen, die Angst vor Gesundheitsschäden, alternative Karriereoptionen, Sportmilieus, in denen Doping geächtet ist et cetera.

Bette und Schimank analysieren Doping als Effekt einer sozialen Konstellation. Sie weisen zugleich darauf hin, dass es soziale Konstellationen gibt, die Doping unwahrscheinlich machen. Diesen Punkt führen sie aber nicht weiter aus, weil er jenseits ihres Erkenntnisinteresses liegt; sie wollen ja die Existenz von Doping erklären, nicht die von Dopingabstinenz. Verständlich, aber ein wenig schade. Für den Fan, der wissen möchte, welchem Sportler man heutzutage noch trauen kann, wäre es sicherlich interessant zu erfahren, nach welchen Kriterien, wie grob auch immer, man die Verdächtigen von den Vertrauenswürdigen unterscheiden kann.

Doping als Konstellationseffekt: Eine solche Analyse ist typisch für die Denkweise von Soziologen, und wer möchte, kann die Studie durchaus als Einführung in das soziologische Denken lesen. Der Stil ist übrigens weit entfernt von dem berüchtigten "Soziologenlatein”; natürlich sollte man eine gewisse Erfahrung im Umgang mit abstrakt analytischen Texten haben und nicht schon vor Worten wie "System”, "Akteur” oder "Komplexität” kapitulieren, wenn man das Buch mit Gewinn lesen will, aber für den gebildeten Laien ist es gut verständlich.

Manfred Kleine-Hartlage



Softcover | Erschienen: 01. Mai 2006 | ISBN: 9783899425376 | Preis: 26,80 Euro | 273 Seiten | Sprache: Deutsch

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