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 Mittelalter Mythen, Band 5: Burgen, Länder, Orte

Serie: Mittelalter Mythen, Band 5
Herausgeber: Ulrich Müller, Werner Wunderlich
Verlag: UvK

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis


Die fünf Bücher aus der Serie "Mittelalter-Mythen", die mit diesem fünften Buch abgeschlossen wird, stellen in zahlreichen Konfigurationen Mythen vor. Der Mythos ist, laut Adorno, ein Produkt der Verdinglichung und Naturalisierung. Die Geschichtlichkeit und Kulturbeschaffenheit wird abgeschnitten, vergessen, verdrängt oder überlagert. So ist die Untersuchung von Mythen eine kritische Stellungnahme zu einer Natur, die eigentlich als Kultur verstanden werden sollte.

Dieses vorliegende Buch nun untersucht in über fünfzig Aufsätzen und auf tausend Seiten zahlreiche Orte, die mythisiert worden sind. Mythisiert heißt hier mehrerlei: Zum einen sind es Mythen, die das Mittelalter geprägt haben, wie die von der Hölle, dem Venusberg oder der Wüste; es sind Mythen, die in den folgenden Jahrhunderten wirksam gewesen sind, wie die der Al-Hambra, Atlantis oder dem Rhein; und es sind Mythen, die sich heute noch halten und teilweise bewusst gepflegt werden, so bei der Stadt Aachen, Troja oder bei Disneys Traumschlössern.
Bei so vielen Autoren sind die Leistungen einzelner Artikel natürlich auch sehr unterschiedlich. Die zahlreichen Überschneidungen - alleine Burgen sind von den Städten so wenig zu trennen wie vom Berg; der Garten Eden, Schlaraffenland, die Liebesgrotte, die Höhle, der Kerker und die Hölle gehen fließend ineinander über - die zahlreichen Überschneidungen wiederholen zum einen, machen aus anderen Artikeln, wie dem Artikel zur Burg, sehr spezielle Artikel, wohl aus Rücksicht auf andere Beiträge des Bandes, die besondere Burgen behandeln.
In jenem speziellem Artikel zur Burg von Ulrich Müller wird vor allem ein kurzer Abschnitt aus der Geschichte der Burg Hauenstein vorgestellt, mit einem Abstecher zum Roman de la Rose. Obwohl dieser Artikel hervorragend geschrieben ist, ist der Bezug zu Mythen nicht ganz klar, und wenn man insgesamt eine Kritik an dem Buch vorbringen kann, dann werden genau diese Mechanismen der Mythisierung manchmal nicht genügend beachtet und hervorgehoben. Man findet dies zwar zum Beispiel sehr gut im Artikel zur Alhambra oder zum höfischen Baumgarten, zum Fegefeuer und zu Brücken. Aber andere sind knapp oder nicht weitreichend genug, wie etwa der Artikel zum Berg, zu Aachen oder zum Kerker. Zu Aachen wird die Selbststilisierung in der Bundesrepublik geschildert; obwohl dies ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung moderner Mechanismen der Mythisierung ist, bleibt der Artikel zu spöttisch, teilweise sogar offen abwertend. Der Artikel zum Kerker ist eine interessante Darstellung, wie sich historisch Kerkerformen entwickelt haben: zu Mythen hat er nur einen marginalen Bezug.
Der höfische Baumgarten - "boumgart" - ist einer der Orte, der erwünschten und phantasierten Orte, an denen sich die Sexualität, gleichsam an der Schwelle der strengen Regulierung, freier entfalten kann. Dies beschreibt Rüdiger Krohn sehr gut, und man liest mit einem Augenzwinkern aktuelle Baumgärten durch, Parks ebenso wie blinde Enden in Hochhaussiedlungen. Umgekehrt wurde die maurische Alhambra gerade in der Romantik zu einem Ort zärtlicher Liebe und Sexualität, aber auch ein Ort politischer Utopien; hier wirkt gerade die Ferne an der Mythisierung mit, sowohl die geschichtliche als auch die räumliche. Andere Artikel beschreiben Konstellationen der Mythisierung: Das Fegefeuer wurde in wechselnden Interpretationen immer deutlicher zu einem naturhaft-göttlichen Ort der Sühne, bis Luther diese Lehre verwarf; sie ist eine Erfindung des Mittelalters: In der Bibel ist von ihr nichts zu finden. Die fortlaufenden Uminterpretationen werden auch an Babylon, Rom und Troja dargestellt, sei es, dass sie überhaupt erst erfunden werden, wie das Fegefeuer, sei es, dass sich an den verschiedenen Mythisierungen kulturgeschichtliche (Troja) oder religionspolitische (Rom) Veränderungen der Deutungsmacht ablesen lassen.
Der Band wird von einem knappen, problemorientierten Artikel eingeleitet, von einer knappen Auswahlbibliographie mit der üblichen Autorenliste wie Eliade, Assmann oder Lévi-Strauss und einer ebenso knappen Liste mit Stichwörtern abgeschlossen.

Statt das Buch zu bewerten, sollte man sich eher danach fragen, für wen dieses Buch geschrieben ist. Die Mythisierung, der Umschlag von Kulturleistungen in quasi-natürliche Begebenheiten, geht jeden kritischen Menschen an. Das Projekt, Europa über sich selbst und die eigenen Wurzeln aufzuklären, wird seit Ende des Zweiten Weltkrieges mit zunehmender Intensität betrieben. Auch dieses Buch nimmt an diesem Projekt teil. Insofern: Wer immer den stolzen Preis bezahlen möchte, wird hier Themen und Motive finden. Ohne eine genauere Lektüre der Theorie muss man sich allerdings eher ungeregelt und dann in gewissem Sinne unfruchtbar einarbeiten. Den Geschichtswissenschaftlern, den Mediävisten, den Kulturwissenschaftlern geht dieses Buch sowieso an. Schließlich kann man den Lesern historischer Romane, auch den Autoren von solchen, dieses Buch ans Herz legen: Sie werden hier erzählenswerte Stoffe finden.
Die meisten Artikel kann man empfehlen; einige wenige sind schwach. Öfter dagegen wird, wie bereits gesagt, das umfassende thematische Gebiet zu nebensächlich behandelt oder methodisch nicht eindeutig genug erfasst. Dem interessierten Laien hätte vielleicht eine Aufteilung des Buches in zwei oder drei preiswertere Veröffentlichungen gut getan.

Frederik Weitz



Hardcover | Erschienen: 01. November 2007 | ISBN: 9783896696366 | Preis: 98,00 Euro | 1023 Seiten | Sprache: Deutsch

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