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Es ist kein guter Tag für Alan Osborne. Kurz zuvor wurde er noch in New York Zeuge eines Mordes, nun befindet er sich in Paris, um einen schwerwiegenden Fehler innerhalb seines Programms zu korrigieren, welches kurz vor der Markteinführung steht und die Welt für immer verändern könnte. Doch Osbornes KI-Software spielt verrückt, lässt sich nicht reparieren - es sieht so aus, als würde der geniale Programmierer seinen Job verlieren.
Und das wird die geringste seiner Sorgen sein. Eine Kollegin erzählt Osborne von ihrem Verdacht auf Sabotage und warnt ihn, dass sein Leben in Gefahr sei. Tatsächlich wird kurze Zeit später ein Mordanschlag auf ihn verübt. Das ist nur der Beginn eines wahren Albtraums, in dem Osborne immer wieder aufs Neue um sein Leben rennen muss. Denn er spielt die Schlüsselfigur in einer Intrige moderner Pariser Hexen, die ihm an den Kragen wollen. Dabei geht es um Osborne selbst, um seine Erfindung und um das sagenumwobene Buch des Abyssus - einem Schmöker, der das Ende der Welt herbeirufen könnte. Ein mieser Tag wird für Alan Osborne immer mehr zum Trip durch die Hölle ...
Autor Peter Mennigen sollte sich vor dem Fremdenverkehrsamt Paris vorsehen, ansonsten hat er bald eine saftige Klage am Hals. Die Stadt, sonst immer der Inbegriff von Romantik und Kultur, wird hier als eine düstere Metropole voller Wahnsinniger beschrieben, in der es nur einen kleinen Stromausfall braucht, um die Hälfte der Einwohner in wütende Raserei und Randale verfallen zu lassen. Kein guter Touristenmagnet, aber genau der richtige Ort für eine drohende Apokalypse. Wer mit Paris als Cité de l?Amour nichts anfangen kann, dürfte an Mennigens Roman "Abyssus" demnach schnell Gefallen finden. Vorausgesetzt, er kommt mit dem merkwürdigen Mix aus Wissenschaftsthriller, Mystik- und Horror-Roman klar, denn das Buch scheint selbst nicht so ganz zu wissen, wo es denn gerne eingeordnet werden möchte. Zunächst dreht sich alles um künstliche Intelligenz, dann geht es auf einmal nur noch um Hexen, Geheimbünde und fiktive, mystische Bücher, um dann später angesichts übernatürlicher Ereignisse doch wieder auf der wissenschaftlichen Schiene zu fahren.
Na gut, eigentlich ist das angesichts der Tatsache, dass es sich ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch um eine nicht enden wollende Hetzjagd auf den Protagonisten Alan Osborne handelt, fast schon wieder egal. Der Mann stolpert derartig zielsicher und ohne Verschnaufspause von einer katastrophalen Situation zur nächsten, dass man sich fragt, ob hier jemand den Schriftsteller Franz Kafka mit dem Hollywood-Regisseur Michael Bay gekreuzt hat. Immerhin klingt das ja zunächst nach spannender Unterhaltung. Wäre es auch, litten nicht sämtliche Charaktere des Romans an einem fortgeschrittenen Stadium der Laberitis und hätten sich nicht obendrein noch den Erklärbärvirus eingefangen. So müssen sich IT-Profis beispielsweise nochmal erklären, was denn jetzt der Y2K-Virus zur Jahrtausendwende war - ist ja auch schon ein bisschen her. Richtig lustig wird es freilich, wenn zwei im Todeskampf befindliche Charaktere ihre Kabbelei kurz unterbrechen, um ein paar weitere Plot-Punkte auf den Tisch zu bringen oder wenn angreifende Furien unbedingt laut hinausposaunen müssen, wie viel Vergnügen es ihnen bereiten wird, Mr. Osborne zu massakrieren. Den Vogel schießt freilich eine der pseudo-wissenschaftlichen Konversationen ab, in der ein Experte behauptet, dass er "mit Hilfe von Einsteins Formel E = mc²" berechnete, dass ein Kilogramm Anti-Materie-Wasserstoff mehr Energie freisetze als sämtliche Steinkohle auf der Erde - schon praktisch, diese Formel, aber wahrscheinlich wollte man dem Leser nur nichts Komplizierteres zutrauen.
Nein, Dialoge sind keine Stärke von "Abyssus", aber völlig inkompetent ist der Roman, was die Fakten über Dinge wie Anti-Materie und Atomphysik angeht, auch wieder nicht. Man sollte die Sache aber dennoch mit Humor sehen. Das hilft angesichts der ziemlich fatalistischen Geschichte auch durchaus weiter, denn diese weist derartig wenig Hoffnung und Lichtblicke auf, stolpert so vehement von einer schrecklichen Situation in die nächste, dass sich ein Happy End zu keiner Zeit als echte Option auftut, vor allem angesichts der katastrophalen Ereignisse, die sich ab der Hälfte des recht dicken Buchs in Paris abspielen. Eigentlich hat die Geschichte auch hier jede Menge Potential, Mennigen drückt nur leider bei gezogener Handbremse aufs Gaspedal, da er immer und immer wieder neue Charaktere einführt, deren einzige Funktion es ist, ein paar Seiten oder Kapitel später spektakulär den Löffel abzugeben. Die eigentliche Geschichte ist durchaus spannend, aber sie findet auf 350 Seiten statt, nicht auf knapp 700. Der Rotstift hätte diesem Roman sehr gut getan.
Was im Endeffekt aus dem Abyssus hervorgekrochen ist, ist kein unbedingt schlechtes Buch, das jedoch wesentlich besser, knackiger, spannender hätte ausfallen können. Mennigen benutzt zwar sehr ausschweifende, blumige Formulierungen, sein Stil ist jedoch sehr gut lesbar. Und vielleicht lässt sich hier ja sogar ein Plädoyer für die Vernunft und gegen wahnwitzigen Aberglauben finden? Doch wie so oft führt sich "Abyssus" auch an dieser Stelle selbst ad absurdum.
Sei?s drum, wer Spaß am Weltuntergang hat, wird über die Schwächen dieses Buchs vielleicht hinwegsehen können. Wer Paris liebt, wird es jedoch ganz schnell in den titelgebenden Abyssus verwünschen.