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Briefeschreiben ist aus der Mode gekommen, seit die Telekommunikation einen schnelleren und mehr oder weniger unmittelbaren Austausch zwischen Menschen ermöglicht. Telefon, Fax, E-Mail und so weiter haben den Brief als Kommunikationsform unnötig gemacht.
In früheren Zeiten waren Briefe häufig literarische Kunstwerke und nicht selten die einzige Möglichkeit für Liebende, Freunde oder Verwandte, während länger andauernder Trennungen ihre Beziehung aufrechtzuerhalten; eine Möglichkeit, von der vor allem Frauen ausgiebigen Gebrauch machten.
In "Briefe liebe ich, für Briefe lebe ich" - der Titel stammt selbstverständlich aus einem Brief, und zwar von Sylvia Plath - stellt der Autor und Herausgeber Stefan Bollmann große Briefeschreiberinnen vor, zugleich umreißt er jedoch auch die Bedeutung des Briefs für Frauen durch die Jahrhunderte.
Ein Ehepaar, für das vor allem zu Beginn der gegenseitigen Bekanntschaft der Brief ein wichtiges Medium war, hat das sympathische und informative Vorwort verfasst: Thekla Carola Wied und Hannes Rieckhoff.
Briefe, in denen es um Liebe und Leidenschaft geht, stehen im Mittelpunkt des ersten Kapitels. Hier darf natürlich die berühmt gewordene Korrespondenz zwischen Elizabeth Barrett und ihrem Dichterkollegen Robert Browning nicht fehlen, ebenso wenig wie Auszüge aus dem Briefwechsel zwischen Vita Sackville-West und Virginia Woolf und etliche andere. Das zweite Kapitel befasst sich mit "Briefen der Freundschaft"; exemplarisch sei hier die Freundschaft zwischen George Sand und Gustave Flaubert erwähnt. Facettenreich präsentieren sich die Briefe von Müttern an ihre Kinder, etwa jene von Maria Theresia an Marie Antoinette oder von Johanna Schopenhauer an ihren Sohn Arthur.
Nicht minder abwechslungsreich ist das Kapitel "Briefe der Macht und Ohnmacht"; hier schreiben Untergebene an Ranghöhere, zum Beispiel Madame de Staël an Napoleon, und umgekehrt - Katharina die Große an Voltaire -, oder Gleichrangige versuchen, Unsägliches gemeinsam aufzuarbeiten, wie dies aus einem Brief von Lise Meitner an Otto Hahn hervorgeht.
Das Kapitel "Briefe des Aufbruchs" schließlich befasst sich mit der Korrespondenz von Frauen, die ungewöhnliche Schritte wagten. Hierzu gehören unter anderem Maria Sibylla Merian und die kosmopolitische Künstlerin Amrita Sher-Gil.
Anders als man angesichts des Titels vielleicht vermuten möchte, besteht das Buch keineswegs vorwiegend aus Briefen oder Briefauszügen. Jedes Kapitel beginnt mit einer Einführung zum jeweiligen Thema: Liebesbriefe, Briefe unter Freunden, Briefe zwischen Müttern und ihren Kindern und so fort. Im Anschluss stellt der Autor nacheinander die Biografien mehrerer bedeutender Briefeschreiberinnen und ihrer Korrespondenzpartner vor, wobei erwartungsgemäß die Ursachen für deren Engagement bezüglich des Verfassens von Briefen und die Folgen der Korrespondenz im Mittelpunkt stehen. Eingebunden in den Kapiteltext wurden jeweils mehrere ausgesuchte Briefpassagen abgedruckt.
Am Ende jedes Kapitels findet man besonders repräsentative, ausdrucksstarke Briefe prominenter Verfasser, die im Zusammenhang mit dem Kapitelthema stehen.
Die Produktivität von Liselotte von der Pfalz als Briefeschreiberin ist legendär, und auch von der Korrespondenz zwischen Katharina der Großen und Voltaire hat vermutlich jeder bereits gehört, der sich ein wenig für Geschichte, Philosophie oder Literatur interessiert. Viele der von Stefan Bollmann präsentierten Frauen hingegen sind in ihrer Rolle als Briefeschreiberinnen nur jenen bekannt, die sich detailliert mit ihren Biografien befasst haben. So lernt der Leser Katherine Mansfields Briefe an ihren Freund Samuel Koteliansky kennen, in denen sie pointiert von den dramatischen Szenen zwischen dem benachbarten Ehepaar D. H. Lawrence und Frieda Weekly berichtet. Es fehlen aber auch solche Briefe nicht, die von Tragödien zeugen, etwa ein Brief von Madame Roland, einem Opfer der Französischen Revolution, an ihre Tochter - und im Anschluss ein nicht minder erschütternder Brief einer den Nazi-Schergen in die Hände gefallenen Berliner Krankenschwester am Tag ihrer Hinrichtung, ebenfalls an ihre Tochter.
Es scheint unmöglich, im Rahmen einer Rezension auf das verblüffend breite im Buch behandelte Spektrum an Briefen einzugehen, auf all ihre Funktionen, beginnend damit, dass Briefe lange Zeit für Frauen die einzige Möglichkeit darstellten, sich literarisch zu betätigen, und hinführend zu wunderbaren Briefen Liebender in Zeiten räumlicher Trennung.
Das Buch ist üppig und wunderschön illustriert, nicht nur mit Bildern und Fotos der vorgestellten Frauen, sondern auch mit Stichen, Zeichnungen, Gemälden und Fotografien, die das Umfeld der Damen repräsentieren - sowie mit Reproduktionen einiger Briefe. Das gesamte Layout wirkt sehr ansprechend und harmonisch.
Sowohl der interessante, packend dargestellte Inhalt als auch die bezaubernde Gestaltung machen dieses Buch zu einem außergewöhnlichen, attraktiven Geschenk für Literaturliebhaber beiderlei Geschlechts. Doch hat der potenzielle Schenkende erst einmal hineingeschaut, wird er es vermutlich selbst behalten wollen.