In der auf 99 Exemplare limitierten Anthologie "Dämonium" stellt Markus Kastenholz neun Erzählungen vor, die sich sehr unterschiedlichen Themen widmen, durch die thematische Klammer "Nachtgestalten" locker zusammengehalten.

"Das Nest", eine Geschichte aus dem Zyklus um die vom Vatikan unterhaltene Vampirjägergilde "ROSE", führt in die Geschichte der Vampirjägerin Andrea ein, die als Elfjährige bei einem Vampirangriff ihre Eltern verlor und gezwungen war, ihren Bruder eigenhändig zu töten, um selbst der Verdammnis zu entgehen. Die Story ist dialoglastig und handlungsarm, lebt von der Retrospektive der Hauptfigur, gewinnt erst zum Ende durch den Wechsel zur szenischen Erzählung deutlich an Dramatik und Spannung, als Andrea und ihr Begleiter, der skeptische Pater Wiesner, eine Gruppe von Vampiren in einem abgelegenen Landhaus stellen.

In "La Luna" begegnet ein nächtlicher Autofahrer einer geheimnisvollen Frau, die mehr über ihn zu wissen scheint als er selbst. Sie vereitelt seinen geplanten Selbstmord, konfrontiert ihn stattdessen auf eine Weise mit seiner eigenen Vergangenheit, die ihn seine tiefsten Ängste erkennen lässt.

Auch in "Dunkle Schatten" begegnen wir einem einsamen Autofahrer - diesmal dem verhinderten Schriftsteller Marek, der eine Anhalterin mitnimmt und mit ihr im Verlauf der Erzählung in ein Phantastiereich gerät, das durch eine dunkle Macht verschlungen zu werden droht.

"Der schwarze Engel": A’sra-L, ein ehemaliger Kampfgefährte Luzifers, muss in jeder Vollmondnacht einen Menschen töten. Sein Kollege T’itus stellt ihn vor eine Wahl, die das Schicksal der Menschheit beeinflussen könnte ...

Ein übergewichtiger, arbeitsloser, resignierter Protagonist lässt sich in "…und ACTION!" von einen Pornofilmproduzenten casten und erlebt in seinem ersten Dreh, was mit der speziellen Ausrichtung der Filmfirma eigentlich gemeint ist.

In "Erster Kontakt" begegnet die Heldin, ein Opfer sexuellen Missbrauchs, in einer Regressionshypnose den Fragmenten ihrer Psyche, die sie als multiple Persönlichkeiten immer wieder in Schwierigkeiten bringen.

Das Thema des Kindesmissbrauchs wird auch in "In jedem Mensch steckt ein Wolf" wieder aufgenommen, wo Kastenholz aus der Sicht eines pädophilen Mörders beschreibt, wie dieser sein Opfer, ein achtjähriges Mädchen, beobachtet und schließlich in sein Auto lockt, wo die Geschichte allerdings einen anderen Verlauf nimmt als geplant.

"Blue Moon": Wir begleiten ein weiteres Mal den Schriftsteller Marek, der - versunken in seiner Betrachtung der Nacht, am Ort eines mysteriösen Mordfalls wie im Rausch schreibend - wiederum einer geheimnisvollen Frau begegnet, die ihm die Tür zu einer Welt hinter der Welt öffnet.

Die Titelgeschichte "Dämonium" beschreibt den sich in Abgründe der Paranoia hinabschraubenden Wahnsinn eines Mannes, der konsequent seinem "Daimon", einer inneren Stimme, folgt - nur dass diese Stimme ihm nicht immer zum Besten rät.

Markus Kastenholz breitet in "Dämonium" ein Panoptikum bizarrer Gestalten und Geschehnisse vor der Leserschaft aus, kräftige, derbe Horror-Kost, die auch vor drastischen Episoden nicht zurückschreckt. Die Illustrationen von Detlev Krämer - insgesamt (ohne Titelbild) fünf, die jeweils eine Seite füllen - können sich sehen lassen. Sie unterstreichen Kastenholz’ düstere Dramatik und erhöhen den Lesegenuss. Lediglich dem zu hell geratenen Coverbild, das sich unter dem schwarzen Schutzumschlag verbirgt, hätte ein weniger klarer, alles enthüllender Stil gut getan. Der von Timo Kümmel angemessen unheilschwanger und düster gestaltete Schutzumschlag aus Papier wird dem Genre und dem Inhalt besser gerecht.

Kastenholz’ Erzählstil strebt nicht nach Subtilität oder sprachlicher Finesse. Plakativ, leidenschaftlich, gelegentlich überzogen inszeniert er seine Plots, trägt dick auf, zitiert reichlich, etwa in "Dunke Schatten", dessen Grundkonflikt - eine geistige Welt namens "Phantasia" wird von dunklen Schatten bedroht, die nur der Protagonist kraft seiner Fantasie davor bewahren kann, gänzlich von der Dunkelheit verschlungen zu werden - fatal an Michael Endes "Unendliche Geschichte" erinnert, wenn auch sein Protagonist die Geschichte in einer Art Fantasy-Overkill zu einem ungleich gewalttätigeren Ende führt.

Sexuelle Gewalt wird gleich in mehreren Erzählungen thematisiert. Das Thema an sich verlangt, wenn es überhaupt zum Aufhänger von Unterhaltungsliteratur taugen soll, Einfühlungsvermögen. Unglücklicherweise gelingt es Kastenholz nicht, zu einer Darstellung zu finden, die keinen schalen Nachgeschmack hinterlässt. Klischees und Stereotype sind vor allem in "In jedem Mensch steckt ein Wolf" oder der Pornofilmstory "…und ACTION!" zuhauf zu finden, und der Versuch, sexuellen Missbrauch von Kindern oder eine tödlich endende Vergewaltigung durch die Augen des Täters darzustellen, gerät durch den pseudo-sozialkritischen inneren Monolog der Protagonisten, das moralisierende Rachemotiv und das völlige Fehlen der Opferperspektive zu einer höchst fragwürdigen Vorstellung. Es wäre sicher weit gefehlt, Markus Kastenholz einen Versuch der Täterrechtfertigung unterstellen zu wollen, die sicher nicht in seiner Absicht liegt, und eine Rezension bietet der gebotenen Kürze wegen nicht den Raum, die Problematik sexuellen Missbrauchs und sexueller Gewalt in der Horrorliteratur angemessen zu beleuchten - aber diese beiden Stories stellen Ausreißer nach unten dar, die "Dämonium" nicht unbedingt zum Ruhm gereichen.

Kastenholz’ spätere Arbeiten - etwa die in der "Schattenreich"-Reihe erschienenen Erzählungen - sind deutlich stilsicherer als die in "Dämonium" vorgestellten Stories: disziplinierter, sprachgewandter, düsterer. Einigen der Protagonisten der "Dämonium"-Erzählungen begegnen wir dort wieder, etwa der Vampirjägergilde ROSE und dem dunklen Engel As-ra’L.

Fazit: Eine durchwachsene Mischung von Geschichten, die nicht alle überzeugen können. Für eingefleischte Kastenholz-Fans ein unverzichtbares Sammelobjekt. Ansonsten eine Sammlung, die teilweise mehr verstört als unterhält.