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Eine Geschichte ohne eigentliche Geschichte zu schreiben, ohne den klassischen Aufbau in drei Akten, ohne die Suche des Helden nach Reichtum, Macht oder Liebe, ohne tragisches Scheitern oder grandiosen Triumph am Ende – geht das überhaupt? In Scarlett Thomas' neuestem Roman "Das Ende der Geschichten" dreht sich vieles um diese Frage, und zwar einerseits innerhalb der Erzählung, die von zahlreichen Autoren und Möchtegern-Autoren bevölkert ist, andererseits aber auch in der Struktur von Thomas' Erzählung selbst.
Hauptfigur ist die 38-jährige Meg, deren Leben aus ihrer Sicht weitaus mehr Tief- als Höhepunkte aufweist: Mit Christopher, mit dem sie seit sieben Jahr zusammen ist, verbindet sie im Grunde nichts mehr – die Beziehung ist anstrengend, lieblos und kompliziert, Sex gibt es fast nie und wenn, dann ekelt sich Meg insgeheim vor Christopher. Gleichzeitig ist sie erfüllt von der Sehnsucht nach Rowan, einem fast doppelt so alten Freund, mit dem sie eine Beinahe-Affäre verbindet, der aber vergeben ist.
Das Geld ist mehr als knapp und das Cottage, das Meg und ihr Freund bewohnen, ist feucht und baufällig und macht Megs Asthma nahezu untererträglich. Und obwohl Meg eine Reihe anspruchsloser Genre-Romane für Jugendliche unter einem Pseudonym verfasst und veröffentlicht hat, schafft sie es nicht, einen eigenen, "echten" Roman zu schreiben oder gar fertig zu stellen.
Jeder neue Handlungsstrang, jede Idee erweist sich irgendwann als Sackgasse oder Trugschluss, und so hat Meg im Laufe der letzten Jahre weitaus mehr Wörter aus ihrem Manuskript gelöscht als geschrieben. So plätschert das Leben im englischen Devon dahin und Meg ist klar, dass sie Entscheidungen treffen und etwas ändern muss – sonst läuft sie Gefahr, sich im Labyrinth ihres eigenen Lebens zu verrennen.
"Das Ende der Geschichten" besitzt wieder einen Haufen typischer Scarlett-Thomas-Zutaten: Skurrile Personen, eine Prise Esoterik und Naturheilkunde, ein bisschen Quantentheorie, ein bisschen Philosophie und ganz viele intellektuelle Diskussionen rund um die Literatur und das Wesen von Erzählungen und Geschichten. Das verspielte Cover wirkt in Hinblick auf den Inhalt fast wie ein falsches Versprechen, der Roman ist nämlich erwachsener als "
Troposphere" und "
PopCo" und so traumwandlerisch sicher und gut geschrieben, dass es eine Freude ist, ihn Seite für Seite zu entdecken – obwohl oder gerade, weil nicht so viel passiert, weil es keine klassische Geschichte in dieser Geschichte gibt. In ihren besten Momenten erinnert die Autorin tatsächlich an John Irving oder Paul Auster, so schräg und gleichzeitig alltäglich, so scharf beobachtet ist das, was geschieht. Immer wieder fließen auch irrationale Elemente in die Handlung ein: ein im Fluss versenktes Auto, eine Bestie im Dartmoor, eine magische Hütte im Wald, ein Poltergeist, ein Flaschenschiff, das verschwindet und auf unerwartete Weise wieder auftaucht.
Wie Scarlett Thomas dem Leser ihre leicht depressive Hauptfigur Meg und ihr Innerstes nahe bringt, ist dermaßen detailgetreu, so authentisch, dass man bald glaubt, das kleine feuchte Cottage in Dartmouth selbst zu bewohnen, Tag für Tag kleine und große Kämpfe mit dem wehleidigen Christopher auszufechten und mit Bess, Megs Hündin, die schroffe Landschaft zu erkunden.
"Das Ende der Geschichten" liest sich trotz des miesen Wetters, das in Devon herrscht, trotz der deprimierenden Umstände von Megs Leben und trotz der daraus entstehenden eher gedrückten Stimmung erfrischend und anregend, weil Thomas den Leser wie so oft zum Denken nicht nur auffordert und einlädt, sondern ihn geradezu zwingt, sich Gedanken über alles Mögliche zu machen.
Ein schöner, virtuos erdachter und intensiv geschriebener Roman mit einer Hauptfigur, die mit ihren Ecken, Kanten und Zweifeln schnell ans Herz wächst. Eine Geschichte, in der wenig geschieht und gleichzeitig unglaublich viel. Der bisher erwachsenste Roman von Scarlett Thomas – auf jeden Fall eine Leseempfehlung!
Eine Leseprobe gibt es auf der Rowohlt-Website.