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Während die römischen Kaiser nach Augustus häufig Gegenstand von historischen Romanen sind, gibt es wenig Belletristik über das Leben und Wirken der Frauen dieser Zeit. Das mag daran liegen, dass über die adeligen Frauen dieser Epoche weniger Aufzeichnungen und Berichte vorliegen als über ihre Väter, Brüder und Söhne. Umso erfreulicher, dass die Historikerin Maria R. Bordihn sich in ihrem zweiten Buch der Geschichte der Galla Placidia widmet:
Fünfzehn Jahre nach dem Tod des Kaisers Theodosius in Konstantinopel fallen die Goten in Rom ein. Für Galla Placidia, die Halbschwester des Kaisers Honorius, bedeutet die anschließende Verschleppung durch die Feinde den Beginn eines neuen Lebensabschnittes. Als Angehörige der römischen Kaiserfamilie wird sie im gotischen Heereszug, der die italienische Halbinsel nach Süden durchquert, als gutgestellte Geisel behandelt. Sie freundet sich mit Gerlinda, der Ehefrau Alarichs, des Königs der Westgoten, an und lernt Athaulf, den Schwager Alarichs, kennen. Zwischen den beiden entwickelt sich eine zunächst heimliche Romanze. Als Athaulf nach dem Tod Alarichs diesem jedoch auf den Thron folgt, wird diese Beziehung zum öffentlichen Politikum, das beide gezielt nutzen, um Römer, Goten und Gallier hinter dem Feldzug zu sammeln.
Athaulf versucht, das Land, das Kaiser Honorius ihm entgegen aller Absprachen nicht zugestehen will, mit Gewalt zu erobern. Galla Placidia hilft ihm in Gallien bei den Verhandlungen mit den lokalen Amtsinhabern. Sie lernt ihre gute Ausbildung und Erziehung in praktische politische Fertigkeiten umzusetzen und kann so auch nach dem Mord an Athaulf ihre gesellschaftliche Stellung behaupten und ausbauen. Der Roman begleitet ihr weiteres Leben bis zu ihrem Tod im Jahre 450 nach Christus.
Der einen Zeitraum von 55 Jahren umspannende Roman orientiert sich sehr an der tatsächlichen Geschichte der Westgoten. Die meisten Akteurinnen und Akteure haben historische Vorbilder, was sehr zu dem Gefühl beiträgt, dass die Romanhandlung sich so hätte abspielen können. Damit hätte das Buch das Potenzial gehabt, eine fesselnde Kulisse aufzubauen und den Leser in eine Epoche eintauchen zu lassen, die in der deutschen Schul- beziehungsweise Allgemeinbildung für gewöhnlich wenig Platz eingeräumt bekommt. Leider schafft Maria R. Bordhin es nicht, den dafür benötigten Spannungsbogen aufzubauen. Natürlich steht die Frage, was aus der Protagonistin wird, durchweg im Raum, doch sind die sich anbahnenden Handlungsverläufe immer durchsichtig und absehbar. Das liegt größtenteils daran, dass die Autorin es nicht schafft, ihre Nebenfiguren eigene Entwicklungen zuzugestehen. Ihre Anspielungen - beispielsweise bei der ersten Begegnung von Galla und Athaulf - sind derart vielsagend, dass man sich bei jeder weiteren Begegnung fragt, wann denn nun endlich die absehbare Romanze beginnt. Auch Sigerich ist von Anfang an der stärkste Opponent Athaulfs, so dass sein Mord an Athaulf selbst dann erwartet wird, wenn man die historische Entwicklung nicht bereits kennt.
Bei der historischen Galla Placidia handelt es sich um eine interessante, vielschichtige Frau mit einer bewegenden Biographie. Davon profitiert der Roman, da Maria R. Bordhin als studierte Historikerin viele biographische Details kennt und verwendet. Wer kurzweilige Romane mag, die nach einem Kapitel auch durchaus mal für längere Zeit weglegt werden können, weil es keine komplexen Nebengeschichten gibt, der macht mit "Die Kaiserin von Ravenna" sicher nichts falsch. Wer jedoch umfassendere Handlungen mag, die weniger linear verlaufen, wird an diesem Buch nicht besonders viel Freude haben und es je nach eigener Disziplin ungelesen weglegen oder sich nur deshalb bis zum Ende durchkämpfen, da es immer wieder einzelne Seiten gibt, die trotz allem ein Lesevergnügen darstellen.