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In der Wiege der Menschheit, im Zweistromtal, übernimmt jeder Spieler die Rolle einer neuen Zivilisation, die Königreiche gründet und in den vier Bereichen Siedeln, Religion, Landwirtschaft und Handel expandiert und prestigeträchtige Monumente errichtet. Der Konflikt mit anderen Königreichen ist dabei natürlich unvermeidlich.
Das Szenario dieses Spiels von Dr. Reiner Knizia, welches übrigens häufig als sein bestes bezeichnet wird, ist vor allem für historisch Interessierte faszinierend, findet allerdings eine sehr abstrakte, vielleicht sogar sperrige Umsetzung. Es steht jedenfalls nicht im Vordergrund von "Euphrat & Tigris", sondern bietet eine solide Grundlage für das eigentliche Spielprinzip - das kann sich jedoch sehen lassen!
Das Spielbrett besteht aus 16x11 Zentimeter Feldern, die als Gitter über eine Karte des Zweistromtals gelegt sind. Ziel des Spiels ist es, in allen vier Farben - Religion: rot, Handel: grün, Siedeln: schwarz, Landwirtschaft: blau - Punkte zu sammeln, denn zum Schluss entscheidet sich an der Farbe, von der man am wenigsten Punkte hat, wer das Spiel gewinnt. Am Rand liegen die sechs Monumente, ein Verbindungsplättchen und der Beutel mit den vielen Zivilisationsplättchen, die später auf den Spielplan gelegt werden.
Jeder Spieler wird anfangs mit einem Sichtschirm, hinter dem er seine Punkte und seine Zivilisationsplättchen platziert, von denen er am Anfang sechs Stück aus dem Beutel zieht, mit zwei Katastrophenplättchen und mit vier Anführern in den vier Farben ausgestattet. Auf dem Spielplan liegen anfangs an vorgegebenen Punkten rote Tempelplättchen aus, die alle einen Schatz tragen.
Ist ein Spieler an der Reihe, muss er zwei Aktionen durchführen, wobei er sich jedes Mal zwischen vier Optionen entscheiden kann. Die einfachste ist, bis zu sechs Plättchen abzuwerfen und aus dem Beutel sechs neue zu ziehen. Dies darf er, wie jede andere Aktion, auch zweimal hintereinander tun.
Am wichtigsten im Spiel sind die Anführer, von denen der Spieler einen als Aktion auf den Spielplan legen darf. Anführer dürfen nur neben Tempeln liegen (aber es liegen ja bereits zehn auf dem Plan), und nur, wenn man den Anführer einer bestimmten Farbe auf dem Spielplan hat, kann man auch in dieser Farbe Punkte sammeln. Wenn ein Spieler möchte, kann er auch einen Anführer auf dem Spielplan gemäß der Regeln umsetzen oder vom Brett nehmen. Ununterbrochene Flächen von Zivilisationsplättchen, die alle seitlich zusammenhängen und mindestens einen Führer beinhalten, sind ein Königreich.
Meistens wird ein Spieler jedoch Zivilisationsplättchen in den vier Farben legen. Legt er beispielsweise ein blaues Plättchen an ein Königreich an, in dem sein blauer Anführer liegt, so bekommt er dafür einen blauen Punkt, den er hinter seinem Sichtschirm versteckt. So versuchen die Spieler, möglichst schnell alle ihre Anführer ins Spiel zu bringen, um in allen Farben Punkte sammeln zu können.
Wobei dies nicht die einzige Möglichkeit ist. Legt man beispielsweise einen schwarzen Anführer in ein zusammenhängendes Königreich, in dem sich bereits ein anderer schwarzer Anführer befindet, initiiert man einen inneren Konflikt, man greift den anderen also quasi an. Daraufhin werden für jeden der beiden Anführer die Tempel gezählt, die an sie angrenzen. Beginnend mit dem Angreifer darf nun jeder Spieler so viele Tempelplättchen wie er möchte hinter seinem Schirm hervorholen und neben den Spielplan legen, die zu den Tempeln, die neben dem eigenen Anführer liegen, hinzu addiert werden. Wer von beiden jetzt stärker ist, gewinnt. Hat der Angreifer die insgesamt größere Zahl an Plättchen (und nur dann!) gewinnt er und der andere Spieler muss seinen Anführer vom Plan nehmen. Bei Gleichstand oder weniger Plättchen muss er seinen angreifenden Anführer wieder entfernen. Der Gewinner bekommt einen roten Siegespunkt (der Konflikt wurde ja mit Tempeln, also in rot, ausgetragen).
Später im Spiel ereignen sich dann häufiger auch äußere Konflikte, die entstehen, wenn man zwei Königreiche über ein Plättchen (nicht über einen Anführer) miteinander verbindet und in dem neuen, größeren Königreich wieder zwei Anfüher derselben Farbe liegen. Jetzt gilt es, wer die meisten Plättchen der Farbe des entsprechenden Anführers in seinem Königreich zu liegen hat, wobei das verbindende Plättchen als Trennlinie gilt. Auch hier dürfen wieder beide Spieler Plättchen in der gleichen Farbe hinter dem Schirm als Verstärkung hervorholen, und auch hier zählt dann wieder, wer zum Schluss die meisten Plättchen als Unterstützung für seinen Anführer vorweisen kann. Der Verlierer muss daraufhin sowohl seinen Anführer als auch alle Plättchen von dessen Farbe aus dem Königreich entfernen und der Gewinner bekommt für jeden entfernten Spielstein einen Punkt in der Farbe, was später ein wichtiges taktisches Mittel ist, um sich viele Siegpunkte in einer Farbe zu holen.
Die vierte Aktion letztendlich ist das Spielen eines Katastrophenplättchens, welches bereits existierende Zivilisationsplättchen aus dem Spiel nimmt und ein "verwüstetes" Feld hinterlässt, das für den Rest des Spiels ungültig ist.
Verbindet man zwei der seit Beginn auf dem Plan liegenden Tempel mit einem Schatz drauf und hat man in diesem Königreich seinen grünen Anführer, darf man sich einen der Schätze nehmen, die als "Joker"-Siegpunkt dienen.
Außerdem darf man, wenn man ein Quadrat von zwei mal zwei Feldern mit Zivilisationsplättchen derselben Farbe belegt, anschließend ein Monument bauen. Die Plättchen werden umgedreht und eins der sechs Monumente, die jeweils zwei Farben aufweisen, wird auf die neue Fläche gelegt. Dieses Monument gibt den Spielern der Anführer in diesen, soweit sie sich im selben Königreich wie das Monument befinden, in jeder Runde, Extrapunkte, wodurch einmal gebaute Monumente bald schwer umkämpft sind, gibt es doch keine Möglichkeit, sie wieder abzureißen.
Am Ende eines Zuges zieht dann ein Spieler aus dem Beutel so viele Zivilisationsplättchen nach, bis er wieder sechs hat, was den großen Glücksfaktor des Spiels darstellt. Nicht immer bekommt man die Plättchen der Farbe, die man jetzt gerade braucht, um Punkte zu sammeln oder einen Konflikt unbeschadet zu überstehen, und das Tauschen von Plättchen kostet halt eine Aktion ...
Das Spiel endet, sobald alle Zivilisationsplättchen aus dem Beutel gezogen wurden oder sobald nur noch ein oder zwei Schätze auf dem Spielplan liegen. Danach sortieren alle Spieler die Siegpunkte ihrer Farben. Zunächst wird die schwächste Farbe jedes Spielers, also die, in der er am wenigsten Punkte hat, mit den schwächsten der anderen verglichen, wobei man seine Schätze (Joker) möglichst den schwächsten Farben dazu rechnet. Wer hier am besten abschneidet, gewinnt das Spiel. Bei Gleichstand wird die nächstschwächere Farbe verglichen usw. So kann selbst jemand, der in drei Farben massig Punkte angesammelt hat und in einer Farbe nur drei Punkte das Spiel als Letzter abschließen.
Mich würde es doch sehr wundern, wenn ein Leser, der vorher noch nie was von "Euphrat & Tigris" oder einem verwandten Spiel gehört hat, beim obigen Text so wirklich durchblickt, worum es eigentlich geht und was man genau machen muss. Wie gesagt, das Prinzip des Spiels ist sehr abstrakt und nicht wirklich leicht zu lernen. Hört sich nicht wirklich attraktiv an, oder?
Wenn man sich jedoch für anspruchsvolle, hirnschmalzintensive Spiele interessiert, dann sollte man Knizias "Euphrat & Tigris" wirklich eine Chance geben, denn dann offenbart sich eine wirkliche Perle von Strategiespiel, die in der Komplexität ihrer Mechanik und der Zugmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, sogar ein bisschen mit Schach vergleichbar ist.
Das größte Problem bei "Euphrat & Tigris" ist allerdings ein ganz anderes: es wird über den deutschen Hans im Glück-Verlag gar nicht mehr aufgelegt! Meine Version ist dann auch die des amerikanischen Verlags Mayfair Games, die jedoch nur im Fachhandel als Importversion erhältlich ist. Über deren Ausgabe sprechend, kann ich allerdings behaupten, dass die Anleitung trotz der schweren Kost sehr verständlich, gut aufgebaut und mit vielen Beispielen, die man in einer Rezension wie der hier leider kaum adäquat umsetzen kann, geschrieben wurde, wenn auch selbstverständlich auf Englisch.
Beim Erklären des Spiels für Leute, die es noch nicht kennen, habe ich jedoch gemerkt, dass sich die Regeln nicht mal eben in ein paar Minuten alle zusammen fassen lassen. Selbst im Spiel mussten immer und immer wieder erweiternde Regeln wie die Monumente oder die Schätze erklärt werden, die am Anfang zu überfordernd gewesen wären. Diesen Mitspielern hat es im Endeffekt auch nicht gefallen, obwohl sie das Spiel zum Ende der Partie hin gut beherrschten.
Für "Euphrat & Tigris" ist es also essentiell, dass man sich hinter die Materie klemmt und vor allem erkennt, was für ein Potential hinter der Mechanik steckt. Dann kann es höllisch viel Spaß machen, sich clevere Spielzüge auszudenken, die das große Königreich des Konkurrenten zerreißen, einem selbst dessen zwei Monumente sichern und dabei gleichzeitig noch massig Punkte in einer schwachen Farbe zu sammeln.
Die Ausgabe von Mayfair Games ist sehr schön ausgestattet. Die Sichtschirme sind im Stil des babylonischen Ishtartors gestaltet, die vielen kleinen Grafiken sind stimmig im Stil uralter Zivilisationen gehalten.
Besonders edel sind die flachen, zylinderförmigen Anführersteine mit den schönen Symbolen der Spielerdynastien und vor allem die großen Monumente aus massivem Holz, die man am Anfang des Spiel zusammen stecken muss, wobei man bei mir bei einigen von ihnen mit ein bisschen Kleber nachhelfen musste.
Die Siegpunkte sind viele kleine und große, fünf Punkte zählende, Holzwürfel in den vier verschiedenen Farben und die zehn farblosen Schätze. Leider liegt der Packung gerade für diese zehn kein Ersatz bei.
Der Spielplan ist ebenfalls recht nett gearbeitet, obwohl der weiße Boden des Zweistromtals sehr grell ist und nicht wirklich natürlich aussieht.
Die aus dicker Pappe gefertigten Zivilisationsplättchen letztendlich haben zusätzlich zu ihrer Farbe noch schöne Grafiken, die die vier Bereiche angemessen innerhalb des Settings widerspiegeln. Auf ihrer Rückseite befindet sich dann noch ein Muster, das bei richtiger Anordnung eine schöne Grundlage für die Monumente bildet, die später darauf stehen.
Zwei große Plastiktüten fassen Monumente, Anführer und Siegpunkte, was umständliches Sortieren am Anfang minimiert, die Zivilisationsplättchen kommen zwischendurch natürlich in den Stoffbeutel. Da macht es dann nichts mehr aus, wenn die wenigen übrig bleibenden Katastrophen- und Verbindungsplättchen für sich in der Schachtel herumliegen, der übrigens noch mehr als ausreichend blanke Ersatzplättchen beiliegen.
So edle Ausstattung hat natürlich auch seinen Preis, unter 40 Euro wird man die amerikanische Variante von Mayfair Games (die übrigens "Tigris & Euphrates" heißt) nicht erstehen können. Die deutschen Restposten auf eBay sind ebenfalls entsprechend begehrt.
Mittlerweile gibt es auch ein ganz neues Kartenspiel mit dem gleichen Namen, darüber konnte ich mir bisher jedoch noch kein Bild machen.
Fazit:
Zugegeben, "Euphrat & Tigris" ist wirklich schwere Kost. Gelegenheitsspielern wird das Spiel wohl kaum gefallen, zu komplex sind zunächst die Regeln und Möglichkeiten, die man während eines Spiels hat. Die Empfehlung des Spiels richtet sich von daher eindeutig an jene, die keine Scheu haben, sich mit der Mechanik eines Spiels intensiv auseinander zu setzen, wenn es auch auf den ersten Blick reichlich seltsam und abstrakt anmutet.
Nach einigen Partien sollte sich dem geneigten Spieler dann jedoch ein wahrhaft brilliantes Spiel zum Nachdenken, Planen und Taktieren ergeben, das mit seiner nicht zu knappen Prise Glück auch noch ein wenig Spannung in den Spielverlauf bringt. Eine ganz klare Empfehlung für Profis also.