Ellen von Unwerth hat einen ganz eigenen Stil für sich gefunden, der sämtliche ihrer Bilder unverwechselbar macht. Alle Fotografien, egal wer oder was abgebildet wird, strahlen eine übergroße Lebensfreude aus - sogar die, auf denen die Models ernste Gesichter machen. Die Fähigkeit, gestellte Inszenierungen so locker zu gestalten, dass es wirkt, als hätten die Models die Fotografin hinter der Kamera ganz vergessen, ist eine Seltenheit. Ellen von Unwerth zeigt technisch perfekte Fotos, ohne dass diese Perfektion bemüht wirkt - eine ganz große Qualität unter den vielen Fotografen, die zwar technisch perfekt, aber stilistisch langweilig arbeiten.

Allein die Lieferung des Bandes "Fräulein" ist schon ein Abenteuer. Großformatig, mit über zwei Kilo Gewicht, hat man beim Gang von der Poststelle nach Hause ganz schön was zu schleppen mit diesem Buch im Arm. Aber die Arbeit wird hundertfach belohnt, sobald zuhause dieser hochwertige Bildband ausgepackt werden darf. Auf über 400 Seiten versammeln sich Bilder, die über 15 Jahre hinweg geschossen wurden und zu großen Teilen vorher noch nicht veröffentlicht wurden. Da ist es eine umso größere Freude, dass der Taschen Verlag diesen Band jetzt auch in einer normalen, mit knapp fünfzig Euro erschwinglichen Ausgabe, aufgelegt hat; warum sollten nur Sammler in diesen Fotos schwelgen dürfen?

"Fräulein" ist eine Hommage an die Frauen dieser Welt. Mal keck, mal schüchtern, mal offensiv und provokativ, dann wieder mit eher leiser Erotik ... Ellen von Unwerth präsentiert hier einen bunten Reigen wunderschöner Frauen. Teilweise sind sie ganz im Moment verloren, mit sich selbst beschäftigt, dann wieder ausgelassen in einer Gruppe. Die farbigen und die schwarzweißen Bilder sind alle stark in ihrem Ausdruck, wobei die schwarzweißen durch die harten Kontraste und die bisweilen bewusst eingesetzte Körnigkeit eine fesselndere Wirkung entfalten können.

Oft unternehmen die Fotografien Ausflüge in die Fetisch-Welt, mit Fesseln, Peitschen, Masken, verbunden Augen oder bewussten Erniedrigungen. Dann wieder nehmen die Fotos mit auf eine Zeitreise in die Vergangenheit, in die Zwanziger oder Dreißiger des letzten Jahrhunderts, mit Charleston-Kleidern und Wasserwelle. Egal, wie groß die Kontraste zwischen den Bildern werden, gemeinsam ist ihnen die perfekte Inszenierung, die für den Betrachter wie zufällig wirkt. Immer wieder fragt man sich, was vor oder nach dieser Szene passieren könnte, wie die Geschichte weitergeht. Eine große Leistung der Fotografin, nicht nur einen Moment abzulichten, sondern auch das Vor- und Nachher zumindest anzudeuten.
Dabei ist nicht alles pure Erotik, was man hier in den Bildern findet. Vielmehr werden verschiedene Seiten der Weiblichkeit gefeiert, die angedeutete Koketterie eines jungen Mädchens sowie die Würde einer älteren Frau, die harsche Schönheit einer streng gekleideten Frau und die verspielte Offenheit eines luftigen Kleides. Oft ist es gerade der Gegensatz, der den Bildern seinen Reiz gibt: hohe Schuhe, strenge Kleidung, aber dann doch ein hervorblitzendes Bein. Ein Mann als Beiwerk der Inszenierung, mit überraschtem Blick angesichts der Schönheit, die ihm fast schon aggressiv ihre Brüste präsentiert. Mit dem Lolita-Image wird ebenso gespielt wie mit dem Klischee der strengen Lehrerin mit Hornbrille, vor allem das Bild "Peaches" provoziert dann wiederum den Gedanken an das beliebte Schulmädchen-Klischee.

Das bebilderte Register am Ende des Buches liest sich wie ein Who's who des Hollywood-Adels und Topmodel-Olymps. Drew Barrymore, Claudia Schiffer, Dita von Teese, Diane Krüger, Elizabeth Hurley, Lady Gaga, Penelope Cruz, Heather Graham ... und viele ebenso schöne, unbekanntere Frauen finden sich auf den Seiten. Am Ende des Buches erwartet den Fan noch eine weitere Besonderheit: Eine Seite mit persönlichen Fotos der Fotografin, teilweise noch aus ihrer Kindheit oder ihrer Zeit als Model, und ein Artikel über ihre Kindheit, ihren Werdegang, der unter anderem erklärt, warum viele ihrer Bilder an Zirkusse und Kabarette erinnern.

"Fräulein" ist ein wunderschöner, großformatiger Band, der bloß nicht im Schrank versteckt werden sollte, sondern offen auf dem Couchtisch oder ähnlich prominent präsentiert werden will. Die Bilder sind zwar erotisch, manchmal provokativ, aber immer stilvoll und perfekt inszeniert, so dass man sich auch bei einem Besuch der Schwiegereltern nicht schämen müsste.

Einen ersten Eindruck der Bilder kann man sich auf der Verlagswebseite machen.