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Zwanzig Jahre sind seit der Wende vergangen. Ost- und Westdeutschland sind zusammengewachsen, und die Erinnerung an die DDR verblasst mehr und mehr. Während im Fernsehen die Historisierung dieses Ereignisses mit viel Tamtam und sanften Geschichtsfälschungen vonstatten geht, macht sich kein Geringerer als Martin Sonneborn, Ex-Titanic-Chefredakteur und Vorsitzender der obskuren Satire-Partei DIE PARTEI, auf eine Wanderschaft rund um Berlin - entlang den einstigen Grenzstreifen. Er will wissen, ob "wir und die da drüben tatsächlich ein Volk geworden sind". Schließlich versteht sich Sonneborn wie kein zweiter auf die Psyche der deutschen Teilung, und er versteht es immer wieder, seine (vor allem ostdeutschen) Mitmenschen durch Forderungen wie die Wiedererrichtung der Mauer zu provozieren. Das kann ja was werden ...
Sechs Wochen lang ist Sonneborn an der Grenze entlanggewandert, begleitet von einem kleinen Filmteam. Das Ergebnis ist eine erstaunliche Bestandsaufnahme des "gewendeten Deutschlands", zwanzig Jahre nach dem Untergang der DDR. Was Sonneborn auf seiner Wandertour durch Eberswalde, Marzahn und ähnliche Vorstädte des Berliner Umlands erlebt, ist in der Tat bizarr. Da gibt es eine ganze Siedlung von Wessis inmitten der einstigen Ostzone, in der Sonneborn verzweifelt (und vergeblich) nach einer ostdeutschen Familie fahndet. Ein CDU-Bürgermeister (West) umrahmt ein antifaschistisches Mahnmal (Ost) mit Hundekotsammelstellen. Ein ehemaliger Indochinakämpfer (West) dreht sturzlangweilige Videos, um seine Zeit in der Hitlerjugend zu verarbeiten. An einer Frittenbude (Ost) hofft man - zwanzig Jahre nach Mauerfall - auf den Anschluss an die Kanalisation, damit endlich nicht mehr die Scheisse aus den Gruben gesaugt werden muss. Ein Straßenbahnschaffner (Ost), für den die Wende eine Art unangenehmer Betriebsunfall war, baut sich die heile Welt mit der Modelleeisenbahn nach. Ein schwer abgeriegeltes Areal entpuppt sich als Asylantenheim, in dem ein leutseliger Araber seit sechzehn Jahren auf verlorenem Posten ausharrt. Und dazwischen immer wieder verlassene Ruinen, die vom dahingeschiedenen Arbeiter- und Bauernstaat künden. Tristesse pur ...
Sonneborn wäre natürlich nicht Sonneborn, wenn er den Kontakt zur "Urbevölkerung" nicht mit entsprechendem Unterton suchen würde. Sein Tonfall schwankt zwischen höflicher Provokation, dreister Anbiederung und penetrantem Nachhaken. Mal steigt er zur Gattin eines Kleingärtners in den fahlgrünen Pool, mal fühlt er einem Exilmünchener auf den Zahn, der sich auf dem einstigen Todesstreifen den Traum von einer eigenen Baumschule erfüllt hat, mal tauscht er sich mit einem obskuren Gottsucher aus. Dass sich dabei Ossis wie Wessis gleichermaßen peinlich ausnehmen, verwundert nicht. Dennoch stellt der Satiriker seine Gesprächspartner selten bloß, er hört mehr zu, als sie zuzutexten. Dadurch ist "Heimatkunde" weit mehr als eine pure Provokationsmontage; der Film wird von einem melancholischen Grundton getragen, der wie ein Abgesang auf das wiedervereinigte Deutschland klingt. Am Ende, so Sonneborn, kämen eh die Chinesen und kauften hier alles auf. In Potsdam amüsieren sie sich bereits königlich über die preußischen Teepavillons ...
Die vorliegende Special Edition enthält übrigens eine zweite DVD mit mehreren Takeouts, darunter eine köstliche Szene mit betrunkenen Bootsfahrern und einer finsteren Schrebergartenmärchenerzählerin. Auch steht Sonneborn in einem längeren Interview Rede und Antwort und berichtet von diesem außergewöhnlichen Projekt, das so schnell sicher keiner wiederholen wird.
"Heimatkunde" ist - anders als erwartet - keine bösartige Satiredoku, sondern eine nahezu lyrische Bestandsaufnahme Deutschlands anno 2007. Absolut sehenswert!