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Der Herbstmorgen im Jahr 2009, an die Handlung von Matthias Polityckis "Jenseitsnovelle" einsetzt, scheint sich nicht merklich von vielen anderen Vormittagen im Leben des 65-jährigen Sinologen Dr. habil. Hinrich Schepp zu unterscheiden. Er ist wie gewohnt spät aufgestanden, und als er sein Arbeitszimmer betritt, findet er, ebenfalls wie so häufig, seine Ehefrau Doro über eines seiner Manuskripte gebeugt vor, die sie zu korrigieren pflegt.
Etwas aber irritiert Schepp – ein eigenartiger Geruch im Zimmer, der wohl doch nicht von den Gladiolen in der Vase stammen kann. Als Doro auf Ansprache nicht reagiert, muss er erkennen, dass sie während der Bearbeitung seines Manuskripts gestorben ist.
Statt, wie man es erwarten würde, einen Arzt und seine Kinder zu alarmieren, bleibt Schepp mit der Leiche seiner Frau allein. Sein Leben mit ihr, die große Liebe einer hochbegabten, an der Universität aufstrebenden jungen Frau aus bestem Hause zu dem halb blinden, verschrobenen Wissenschaftler Hinrich Schepp, passiert Revue. Aber auch Dana schleicht sich in seine Gedanken, die verruchte Schöne. Nach einer wenige Jahre zurückliegenden Augen-OP hat er, endlich klar sehend und schier verrückt nach der Schönheit der Frauen, Dana an einer Bar beobachtet und ihre Nähe gesucht.
Schepp vertieft sich schließlich in das Manuskript und Doros Korrekturen, und er erfährt anhand ihrer Randbemerkungen, dass Doro alles über seine Sehnsucht nach Dana wusste. Immer mehr wandelt sich der zunächst so positive Eindruck von seiner Ehe hin zu einer zwiespältigen Mischung aus der Liebe von Seelenverwandten und einer befremdlich-absurden Farce.
Ein Mann hält Zwiesprache mit der Leiche seiner Frau. Was womöglich anfangs noch relativ natürlich wirkt, erhält rasch ein ausgesprochen surreales Flair aufgrund der miteinander verwobenen Handlungsstränge; Rückblenden wechseln sich mit der Gegenwart ab, in der Schepp Leichenflecken, zunehmende Leichenstarre und Leichengeruch recht gefasst zur Kenntnis nimmt, während er über seine Ehe nachsinnt und versucht, noch einmal jene Gemeinsamkeit aufkommen zu lassen, die es so eigentlich nie gegeben hat.
Die "Jenseitsnovelle" ist eine eigenartige, geradezu bizarre Liebesgeschichte; sie handelt von einer sonderbaren Dreiecksbeziehung, die sich in unerwarteter und von Schepp selbst unbemerkter Richtung entwickelt.
Der Hörer erfährt zusammen mit Schepp nach und nach das ganze Ausmaß der Absurdität von Schepps und Doros Ehe in Verbindung mit Danas Rolle. Die surreale Atmosphäre und das satirische Element werden von der Sprache untermalt, die Politycki einsetzt – eigenwillig antiquiert und manieriert, dabei starr und hölzern, passend zu einem verschrobenen Wissenschaftler, der Jahrzehnte in einem Elfenbeinturm verbracht hat; auch der Name Hinrich Schepp unterstreicht diesen Eindruck. Chinesische Philosophie und Mystik und die Sehnsucht nach einer Femme fatale gehen in Schepp eine eigenwillige Verbindung ein. Und in einem späteren Abschnitt taucht noch ein neuer, überraschender Handlungsstrang auf.
Autor Matthias Politycki und Schauspielerin Nina Petri wechseln sich beim Vorlesen ab. Dieses Zusammenspiel aus Sprecher und Sprecherin, die beide genau das richtige Maß zwischen spannendem Vortrag und scheinbarer gefasster Sachlichkeit treffen, spiegelt ein Stück weit die beiden Pole der Ehe wider und unterstützt nicht zuletzt natürlich die Aufmerksamkeit des Hörers.
Das Hörbuch ist hochwertig aufgemacht. Es umfasst drei Audio-CDs und eine DAISY-mp3-CD. Dank den beiden ausgezeichneten Sprechern erweist es sich als eine sehr attraktive Alternative zur Print-Version; ob man die Novelle hören oder lesen möchte: Es handelt sich um ein ausgesprochen eigenwilliges Stück Literatur, das man sich definitiv gönnen sollte.