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"Josei-Mangas" nennt man jene japanischen Comics, die sich primär an erwachsene Frauen richten. In diesem Genre arbeitet auch die Mangaka Kiriko Nananan, deren Manga "Liebe und andere Lügengeschichten" bei shoduku, einem Sublabel von Schreiber & Leser, erschienen ist. Nach
"Blue" ist dies das zweite Werk der Künstlerin mit dem ganz eigenen Stil, das auf deutsch erhältlich ist.
Der Manga erzählt keine fortlaufende Geschichte, sondern zeigt 23 einzelne Episoden aus dem Leben junger japanischer Frauen und teilweise auch Männer. Das Thema, das sich wie ein roter Faden durch den Manga zieht, ist die Liebe. Selten jedoch glauben Nananans Protagonisten an die wahre Liebe und fast nie finden sie sie. In den meisten Episoden thematisiert die Zeichnerin daher scheiternde oder gestörte Beziehungen, Sex ohne Liebe - zwei Geschichten drehen sich beispielsweise um junge Menschen, die sich prostituieren - , zerstörte Freundschaften, Liebeskummer, Trennungsängste, Abhängigkeit und mehr.
"Liebe und andere Lügengeschichten" bietet einen aufschlussreichen, realistischen Blick auf das Gefühlsleben moderner japanischer Frauen, ganz gleich ob es nun um Liebe, Freundschaft oder Sex geht. Während manche Episoden banal erscheinen, wirken andere völlig realitätsfern oder unverständlich. Man muss sich hierbei immer wieder vor Augen halten, dass sich die japanische Gesellschaft und die Mentalität der Menschen in vielen Aspekten von der deutschen unterscheidet. So ist es sicher von Vorteil, wenn man sich bereits vorher mit dieser Thematik auseinandergesetzt hat, dann kann man die Handlungen, Motivationen und Emotionen der Figuren Nananans meist nachvollziehen und ist beeindruckt von der Menschenkenntnis, die die Autorin beweist, und der gleichsam distanzierten wie intensiven Erzählkunst, mit der sie Probleme wie Prostitution junger Menschen oder psychische Schwierigkeiten darstellt. Ein Hauch von Humor und feiner Ironie findet sich auch bei der ein oder anderen Geschichte, moralische Wertungen bleiben dem Leser dagegen erspart.
Freilich kommt bei diesen gezeichneten Kurzgeschichten keine Spannung auf, auch unterhaltsam sind sie selten. "Liebe und andere Lügengeschichten" ist kein "Manga-Fast-Food", sondern eine anspruchsvolle Sammlung von Erzählungen, die man durchaus mehrmals lesen und betrachten kann, die den Leser aber nie ganz zufrieden und glücklich zurücklassen wird, sondern eher verwirrt, betroffen und nachdenklich. Die Zielgruppe dieses außergewöhnlichen Mangas ist daher eher eine kleine: ein erwachsenes, an Japan interessiertes Publikum, das dem Medium Comic zugetan ist.
Kiriko Nananans Artwork ist minimalistisch-realistisch. Völlig schnörkellos kommen die Zeichnungen daher, ohne viele Graustufen, sondern in einem simplen, aber dennoch ausdrucksstarken Schwarz-weiß. Im Mittelpunkt stehen immer die Figuren, die Hintergründe bleiben eher spartanisch ausgestaltet. Die Panels sind übersichtlich angeordnet, das Seitenlayout ist simpel.
Wer sich für das Liebesleben junger Menschen in Japan interessiert, für den bietet "Liebe und andere Lügengeschichten" eine interessante Lektüre. Josei-Mangas sind in Deutschland nicht allzu populär, mit Kiriko Nananan hat man allerdings eine starke, überzeugende Vertreterin des Genres gefunden. Ihr Manga "Blue" ist zwar zugänglicher und gewissermaßen massentauglicher, den Experimentierfreudigen sei aber auch "Liebe und andere Lügengeschichten" ans Herz gelegt.