Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Bildqualität | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Drei Jahrzehnte lang ist der Autor und Fotograf John Margolies kreuz und quer durch die USA gereist und hat in Fotos festgehalten, was inzwischen mehr oder weniger dem Untergang geweiht oder gar bereits ausgestorben ist: die typisch amerikanischen Imbissbuden, Werbeschilder, Tankstellen, Diners, Motels und Zerstreuungen am Straßenrand, die für den Europäer ebenso komisch-verspielt wie charmant anmuten. Es sind, wie auch der Untertitel verheißt, architektonische Relikte einer vergangenen Epoche, die, obwohl man sie in Deutschland eher nicht vorfindet, auf den Betrachter vertraut und einladend wirken, weil man sie in unzähligen Roadmovies schon so oder ähnlich gesehen hat.
Die unmittelbar an den Highways liegenden Drive-Ins, Gas Stations, Autokinos und Vergnügungspark sind charakteristisch für ein Volk, das so mobil ist und so viel Zeit im Auto und auf Reisen verbringt – sei es auf Urlaubsfahrt, als Salesman auf Verkaufstour, beim Umzug in ein neues Heim oder schlicht auf dem Weg von A nach B, weil in den USA vieles so unglaublich weit auseinander liegt.
Wo in Deutschland Raststätten am Wegesrand eher spartanisch, trostlos, allenfalls effizient oder hochmodern daherkamen (und immer noch daherkommen), geht es in den USA ganz anders zu – das dokumentieren die Fotografien in diesem hochwertigen Bildband aus dem Taschen Verlag höchst eindrucksvoll. "Sieh mich an!", schreien sie, die quietschbunten, häufig höchst liebevoll und aufwändig gestalteten Werbe-Ikonen, die mannshohen Hotdogs, Milchshakes und Maiskolben mit ihren aufgemalten Gesichtern und Neon-Lichterketten, die Frittenbuden in Form von riesigen Hühnchen, die Hotels in Form von Tipis, die Dinosaurier- und sonstigen Themenparks. Sie alle dienen nur einem Zweck: den Reisenden von der Straße zu locken und zum Anhalten zu bewegen, auf dass er entweder einen Imbiss zu sich nehme oder sich sonstwie zerstreue. "Hereinspaziert!" möchte man spontan rufen bei diesen fröhlich-skurrilen Relikten, die geradewegs aus einem Zirkus entsprungen scheinen. Hier einzukehren heißt offensichtlich nicht nur etwas zu essen, sondern vor allem Spaß zu haben in einer comichaften Welt. Ob die jeweilige Lokalität dann hält, was sie verspricht, sei dahingestellt. Vieles wurde von den Besitzern offensichtlich mit viel gutem Willen, aber wenig künstlerischem Talent modelliert: die riesenhaften, alles andere als furchterregenden Dinosaurierskulpturen, der ziemlich schiefe Hulk, der gigantische Fisch, der gerade ein Restaurant verschlingt, oder die monströse Minigolfspielerin sind eher unbeholfen als wirklich gut – und gerade deshalb so großartig anzuschauen.
Neben einem aufschlussreichen Vorwort von C. Ford Peatross, das die Arbeit und den Werdegang von John Margolies beleuchtet, beinhaltet der großformatige Band, der eine etwas andere Reise durch das inzwischen vergangene Amerika zeigt, rund 400 Farbfotos. Indes beweisen die Jahreszahlen an den Fotografien, dass sich nicht unbedingt viel getan hat zwischen 1970 und 1990: noch immer lächeln die Hotdogs rätselhaft und locken die Werbeschilder mit köstlichen Sundaes und klimatisierten Zimmern mit TV. Gerade das Veraltete, Dilettantische, leicht Heruntergekommene trägt natürlich zum unschlagbaren Charme dieser fotografierten Architekturen bei.
"Roadside America" ist nicht nur ein spannender und unterhaltsamer Bildband, der vor allem dem deutschen Betrachter eine Welt zeigt, die er höchstens als Besucher kennt, sondern auch ein Zeitzeugnis, eine Dokumentation der amerikanischen Lebensart. Von den vielen Drive-In-Diners, Motels, Minigolfanlagen, Gas Stations, Museen ("die größte Pekannuss der Welt!") und Themenparks dürften heute nur noch ein Bruchteil, wenn überhaupt, stehen - schade eigentlich! John Margolies' fotografischer Ausflug in die Welt der gnadenlos verspielten, herrlich bunten und sehr charmanten Werbeschilder und Highway-Spielwiesen ist also auch ein Ausflug in eine Welt am Straßenrand, die wir heute so nicht mehr vorfinden. Daher ist dieses Buch auf jeden Fall lesens- und betrachtenswert: skurril, liebenswert und geschichtlich gesehen äußerst spannend.
Einblicke in den Bildband gibt es
auf der Website des Taschen Verlags.