Am 4. März 2008 schmolz der Reaktor des Kernkraftwerks Cattenom. Das Saar-Lothringen-Luxemburg-Gebiet wurde vollständig verseucht. Die Sonderrechtszone Saar, kurz SOX genannt, ward geboren.

Mit "SOX", dem neuen "Shadowrun"-Quellenbuch, liegt erstmals in der Geschichte FanPros eine deutsch-französische Kooperation - und damit auch das erste internationale Shadowrun-Originalprodukt - vor. Thema des Bandes ist die Sonderrechtszone Saar, ein von der Außenwelt abgeschottetes, atomar verseuchtes Gebiet, bestehend aus Teilen dreier ehemaliger Staaten.

Der Band gliedert sich in einen Quellenteil von etwa siebzig Seiten und eine thematisch passende Kampagne von etwa sechzig Seiten Umfang. Das Verhältnis von Quellen- zu Abenteuerteil ist also etwa 1:1, was auf den ersten Blick auf einen ausgewogenen Inhalt schließen lässt.

Der Quellenteil untergliedert sich in sechs Abschnitte, welche die einzelnen Aspekte der SOX genauer unter die Lupe nehmen.
Von einem kurzen geschichtlichen Überblick über die Region von der ersten Katastrophe im Jahr 2008 bis zum Sommer 2070, über Landschaftsbeschreibungen bis hin zu dem Thema Verstrahlung und Mutation ist im ersten Abschnitt des Quellenteils alles enthalten. Auch eine Tabelle zum Thema Strahlenkrankheit findet sich hier, die - stark vereinfacht - die regeltechnischen Auswirkungen der Verstrahlung auf die Charaktere darstellt.
Die folgenden drei Abschnitte setzen sich intensiv mit dem Leben sowie den verschiedenen Gruppierungen in der Sonderrechtszone auseinander. Ein buntes Konglomerat an verschiedensten Interessenverbänden tritt hier zutage, von den Konzernen bis hin zu den Strahlenpunks, die sich in Gangs organisieren und auf diese Weise versuchen, in dieser menschenfeindlichen Umgebung zu überleben.
Der fünfte Abschnitt schließlich enthält nützliche Spielleiterinformationen, die neben neuen Crittern, NSCs und diversen Abenteuerideen vor allem auf das Thema Magie in verstrahlter Umgebung eingehen.

Leider offenbart sich beim Lesen des Quellenteils das große Problem der SOX, die wie so viele Regionen aus dem ersten Deutschland-Quellenband nur schwer mit den heutigen Vorstellungen kompatibel sind: Sie ist unglaubwürdig. Die Autoren des alten Bandes waren bemüht, "Deutschland in den Schatten" so reichhaltig wie möglich zu machen - aus damaliger Sicht verständlich, und das Erfolgsrezept ging auch auf. Doch aus heutiger Sicht wirkt die ADL heillos überfrachtet an den verschiedensten Abenteuerhintergründen. Eine Kernschmelze in einem Atomkraftwerk ist nichts, was lediglich eine Zone von der Größe der SOX betreffen würde - so ein Zwischenfall wäre für einen Großteil Europas fatal. Die SOX soll wohl eine Art europäisches Nuke City (das atomar verseuchte Chicago im Shadowrun-Universum) darstellen - in Amerika klingt so etwas glaubwürdig, im kleinen, übersichtlichen Europa eher unlogisch. Doch dies ist nicht der einzige Kritikpunkt: Angeblich handelt es sich hier um eine abgeschottete Zone, doch wenn man liest, wie viel "Durchgangsverkehr" herrscht, fragt man sich, ob die Mauer um die SOX nicht eher den Sinn hat, passierenden Shadowrunnern einfach nur den nötigen Thrill zu liefern. Das Setting an sich mag interessant sein (erinnert es doch mehr als einmal an die Hintergrundwelt des DeGenesis-Rollenspiels), doch ist der gebotene Raum zu klein, und die Darstellung weist zu viele Lücken auf, um logisch zu wirken.

Unter diesen Aspekten ist es schwierig, die Kampagne zu bewerten. Sie setzt sich mit einem bedeutenden Ereignis der jüngeren Geschichte in der SOX auseinander und führt die Charaktere langsam an die Zustände in der Sonderrechtszone heran, wo sie im zweiten Teil der Kampagne schließlich aktiv werden. Sehr positiv fällt hier vor allem der modulare Aufbau auf, der es dem Spielleiter und den Spielern zu einem gewissen Grad erlaubt, die Reihenfolge der Kampagnenteile selbst zu bestimmen. Möglicherweise hätte man dies noch freier gestalten können, doch gelingt es den Abenteuern ziemlich gut, den Spielern die eigene Entscheidungsfreiheit vorzugaukeln. Der Handlungsverlauf der Kampagne ist gut durchdacht, auch erfahrene Shadowrunner dürften daran ihren Spaß haben.

"SOX" ist einerseits ein sehr interessantes Shadowrun-Produkt, was nicht zuletzt an der Zusammenarbeit von deutschen und französischen Autoren liegt. Leider krankt es beim Quellenband jedoch zu stark an unlogischen Altlasten aus der Frühzeit des deutschen Shadowrun, sodass mehr als nur ein Hauch der Unglaubwürdigkeit über der Sonderrechtszone und der sie beschreibenden Publikation liegt. Hier hätte man Pionierarbeit leisten und das Aussehen Europas im Jahre 2007 verändern können. Leider hat man sich zu sehr von der Endzeitstimmung eines atomaren Holocaust begeistern lassen und diese auf übersichtlichem Gebiet rekonstruiert. Wer sich an der darin fehlenden Logik nicht stört, der findet jedoch in "SOX" einen schön aufgemachten und gut ausgearbeiteten Quellenband samt interessanter Kampagne.

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