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Remember, remember the fifth of November,
gunpowder, treason and plot.Jedes Schulkind in England kennt diesen Reim über den so genannten
Gunpowder-Plot. Im Jahre 1605 versuchte eine Gruppe von Anarchisten das britische Parlament in die Luft zu sprengen. Dummerweise wurde einer der Mitverschwörer, ein Mann namens Guy Fawkes, am Morgen des 5. November im Keller des Parlamentsgebäudes erwischt - zusammen mit mehreren Fässer Schießpulver.
Dieses historische Ereignis diente dem Autor Alan Moore und dem Zeichner David Lloyd zur Inspiration für ihre
graphic novel "V for Vendetta".
England, 1997. Nach einem atomaren Weltkrieg hat ein totalitäres Regime auf der Basis faschistischen Gedankengutes die Macht auf den britischen Inseln ergriffen. Staatliche Überwachung und Gewalt sind an der Tagesordnung. Die 16-jährige Evey Hammond ist aufgrund ihres geringen Lohnes in einer Fabrik dazu gezwungen, sich als Prostituierte ein Nebeneinkommen zu sichern. Doch schon an ihrem ersten Abend gerät sie an eine Gruppe von Agenten des Regimes. Diese drohen sie zu vergewaltigen und danach zu töten, als Evey unerwartete Hilfe erhält. Ein Mann mit einer Guy-Fawkes-Maske tötet ihre Bedroher und bringt sie auf das Dach eines nahe gelegenen Hauses. Dort können beide mit ansehen, wie das Parlamentsgebäude explodiert. Es ist der fünfte November, und der maskierte Mann, der sich V nennt, hat ein erstes Zeichen gesetzt.
Im weiteren Verlauf der Handlung werden wir durch Eveys Augen Zeuge von Vs Kampf gegen das Regime. So setzt er unter anderem wichtige Leute an der Spitze der Regierung außer Gefecht, jagt als Rache an der ihm "untreuen" Justitia das altehrwürdige Gerichtsgebäude Old Bailey in die Luft und führt eine Geiselnahme im regierungseigenen Fernsehstudio durch, um seine anarchistische Botschaft über den Äther zu jagen und die Bevölkerung aufzurütteln.
Irgendwann verlässt Evey V, um wieder ein eigenes Leben zu führen. Aber schon bald wird sie scheinbar von der Regierung festgenommen und Folter und Verhör unterzogen, um den Aufenthaltsort von V zu verraten. Evey bleibt jedoch stark und schweigt, bis sie von V befreit wird. Je mehr sich die Geschichte ihrem Höhepunkt nähert, wird allerdings auch offenbar, welche Pläne V selbst mit seinem Schützling hat.
"V for Vendetta" erschien erstmals von 1982 bis 1985 im britischen Comic-Magazin Warrior. Die Geschichte war bei Einstellung des Magazins noch nicht abgeschlossen, und wurde somit erstmals 1988 komplett als
graphic novel veröffentlicht. Sie gliedert sich in drei Akte oder "Bücher" mit den Titeln "Europe After The Reign", "This Vicious Cabaret" und "The Land Of Do-As-You-Please". Jedes Buch ist wiederum in elf bis vierzehn Kapitel unterteilt, deren Überschriften alle mit dem Buchstaben V beginnen.
Bereits anhand des Zeichens V lässt sich erahnen, mit welch starker Symbolik die Geschichte versehen ist. So steht V nicht nur für den Buchstaben und das damit verbundene Zeichen für "Victory", sondern auch für den römischen Buchstaben 5. Der Protagonist V stellt sich immer mit einem fünfsilbigen Satz vor ("You can call me V!"), hört die fünfte Symphonie von Beethoven und beginnt seine Vendetta am fünften November. Auch der Name Evey, der nicht zufälligerweise an "Eva" erinnert, deutet auf die im späteren Verlauf der Handlung "schöpferische" Kraft dieses Charakters vorweg. Auch ansonsten ist der Text angefüllt mit intertextuellen Elementen und Zitaten aus Kunst und Literatur.
David Lloyds Zeichnungen tragen wesentlich zum Flair der Geschichte bei. Seine Personen werden nicht überzeichnet, sondern sind realistisch dargestellt. Der Hintergrund dagegen ist häufig nur schemenhaft, die Aufmerksamkeit des Lesers wird auf das Wesentliche konzentriert. Ein weiteres Motiv, dass sich durch die gesamte Geschichte zieht, ist der düstere Ton der Zeichnungen. Die verwendeten Farben tragen wenig dazu bei, ein Gefühl der Vertrautheit zu erzeugen. Die Bilder stellen somit nicht unbedingt eine Perle der Comickunst dar, bedenkt man jedoch die Intention der Geschichte, so wird sie von David Lloyd angemessen in Szene gesetzt.
Mit "V for Vendetta" ist Alan Moore und David Lloyd eine Dystopie gelungen, die sich problemlos mit Werken wie "1984", "Brave New World" und "Fahrenheit 451" messen kann. Es steht vor allem die Frage im Vordergrund, ob der Zweck alle Mittel heiligt. Moore liefert jedoch keine vorgefertigten Antworten, sondern überlässt es dem Leser, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Sicher, die Regierung hat einen die Bevölkerung unterdrückenden Überwachungsstaat geschaffen. Aber darf V im Kampf um Freiheit das Leben Unschuldiger aufs Spiel setzen? Kann man diese Freiheit gutheißen, wenn sie in Anarchie und Chaos mündet? Ist seine Manipulation von Evey im Sinne des "großen Ziels" zu rechtfertigen?
Man merkt der Geschichte an, dass sie während der Zeit der erzkonservativen Thatcher-Regierung in England verfasst wurde. Vor allem in Alan Moores Vorwort ist eine deutliche Resignation gegenüber England und seiner Politik spürbar. Mittlerweile sind jedoch fast zwanzig Jahre vergangen, und es hat sich in der Zwischenzeit einiges geändert. Mit vielen Themen wie AIDS oder Homosexualität wird heute wesentlich sensibler umgegangen als zu Zeiten Margaret Thatchers. Und dennoch - die Kernthemen der Geschichte sind auch heute noch aktuell. Radikalismus, Faschismus und Gewalt stellen weiterhin ernsthafte Probleme der Gesellschaft dar, und eine Besserung ist nicht absehbar.
Fazit: Alan Moore und David Lloyd haben mit "V for Vendetta" ein Meisterwerk der
graphic novel abgeliefert. Besser hätte auch ein Roman dieses Thema nicht aufarbeiten können. Somit ist es umso bedauerlicher, dass dieser Geschichte allein aufgrund ihres Mediums nicht das Maß an Anerkennung zuteil wird, das sie meiner Meinung nach verdient hätte. Abschließend sei noch eine Empfehlung auszusprechen: Wer nicht davor zurückscheut, sollte "V for Vendetta" im Original lesen, da viele Zitate und Anspielungen im Englischen einfach nicht adäquat übersetzt werden können.