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 Zeit der Gespenster

Autoren: Jodi Picoult
Übersetzer: Klaus Timmermann, Ulrike Wasel
Verlag: Piper

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ross Wakeman ist ein gebrochener Mann. Vor Jahren ist Aimee, seine große Liebe, bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie ist verblutet, während er sich um die schwer verletzte Fahrerin eines anderen Wagens gekümmert hat. Es ist eine Schuld, die Ross nicht mehr los lässt und mit der er nicht leben kann. Nachdem jedoch mehrere Selbstmordversuche trotz guter Planung auf aberwitzige Weise schief gegangen sind, kommt Ross zu dem Schluss, dass der Tod ihn noch nicht haben will. Deshalb versucht er, Aimee auf andere Weise zu finden und wird zum Geisterjäger. Doch auch nach Jahren ist es ihm nicht gelungen, einem Geist zu begegnen, geschweige denn Aimee.

Das ändert sich, als er zu seiner Schwester zieht und dort den zwielichtigen Spencer Pike kennenlernt. Ross soll beweisen, dass es auf seinem Grundstück, das zu einem Supermarkt umgebaut werden soll, nicht spukt. Die örtlichen Indianer wollen das Bauprojekt mit der Begründung stoppen, bei dem Gelände handele es sich um einen alten Indianerfriedhof – eine Behauptung, für die es nicht die geringsten Anhaltspunkte zu geben scheint. Bis Ross mit seinem schwer kranken Neffen nachts auf Geistersuche geht – und eine ungeheuerliche Entdeckung macht!

Von diesem Moment an gehen unerklärliche Dinge in der Kleinstadt vor sich: Nachts wachsen Blumenranken aus den Wasserrohren und sämtliche Uhren bleiben zur gleichen Zeit stehen. All das scheint mit einem Mordfall aus den 30er Jahren in Verbindung zu stehen, der offensichtlich nie richtig aufgeklärt wurde …

Spätestens seit ihr Roman "Beim Leben meiner Schwester" international zum Bestseller avancierte, gilt Jodi Picoult als eine der erfolgreichsten amerikanischen Autorinnen weltweit.
Sie selbst beschreibt ihre Bücher bescheiden als Romane über Familien, Beziehungen und Liebe. Das trifft zwar zu, ist aber eine viel zu eng gefasste Definition, die noch dazu auf eine falsche Fährte lockt. Picoults Bücher sind alles andere als einfach. In den meisten ihrer Werke setzt sie sich mit brisanten Themen auseinander, um die andere gern einen großen Bogen machen. In "19 Minuten" hat sie sich sehr objektiv mit einem Massaker auf einer amerikanischen Highschool auseinander gesetzt, in "Die Macht des Zweifels" geht es um Selbstjustiz.

"Zeit der Gespenster" ist im amerikanischen Original bereits 2003 erschienen. Picoult hat das Buch noch vor ihrem Bestseller "Beim Leben meiner Schwester" verfasst. Auf Deutsch ist er erst in diesem Frühjahr bei Piper erschienen, dafür allerdings in einer schmucken Hardcover-Ausgabe. Das macht aber nichts, denn die Themen, die das Buch anspricht, sind immer noch aktuell. Ein bisschen anders ist es aber schon im Vergleich zu ihren jüngeren Werken. Es sind viele Fäden, zahlreiche dramatische Schicksale, die Jodi Picoult in "Zeit der Gespenster" miteinander verknüpft. In den ersten Kapiteln fällt es schwer, sich in die Handlung einzufinden, da Picoult in geradezu schwindelerregender Geschwindigkeit die Perspektiven wechselt. Dranbleiben lohnt sich allerdings. Nach zwanzig, dreißig Seiten hat man sich diesem Erzählstil angepasst und lässt sich von ihm mitreißen, bis Jodi Picoult auf den letzten hundert Seiten des Romans sämtliche unterschiedliche Erzählperspektiven überraschend und mit großem Geschick zusammenführt. Während in ihren neuesten Werken jeder Perspektive einzelne Kapitel gewidmet sind und diese alle in der ersten Person verfasst sind, jongliert die Autorin in diesem Buch mit wesentlich mehr Hauptfiguren und schreibt in der dritten Person.

Dadurch, durch den Handlungsstrang um die Geistererscheinungen und durch sein etwas zu dramatisches und positives Finale wirkt der Roman wahrscheinlich etwas stärker wie reine Unterhaltungsliteratur als ihre anderen Bücher. Dabei zeichnet sich auch die vorliegende Erzählung immer noch dadurch aus, dass sie hervorragend recherchiert ist und sich Picoult nicht scheut, unangenehme Themen anzusprechen. "Zeit der Gespenster" ist auch, aber nicht bloß, eine Geister-Geschichte! Wer eine reißerische, unheimliche Gespenster-Grusel-Story à la King erwartet, wird herb enttäuscht werden. Picoult schreibt keinen Schocker, sondern ein Drama. Im Roman hat die Autorin amerikanische Eugenik-Projekte aus den 20er und 30er Jahren sowie die Sterilisationsgesetze dieser Zeit thematisiert, über die man sich in ihrem Heimatland sonst sehr gern ausschweigt. Wer würde auch gern zugeben, dass sich in einer noblen Vorortsgegend weiße, gebildete Männer mit Themen beschäftigt haben, die der Rassenpolitik Hitlers einige Jahre später gar nicht unähnlich waren.

In erster Linie jedoch ist "Zeit der Gespenster" tatsächlich die spannende Geschichte um mehrere Menschen, deren Schicksal sich auf unerwartete Weise miteinander verknüpft. Es ist eine Geschichte um den Tod und das Leben, um verlorene und wiedergefundene Liebe – und um einen Mordfall von vor vielen Jahrzehnten, der erst heute aufgeklärt wird. Auch wenn es diesmal vielleicht ein bisschen weniger anspruchsvoll zugeht als in Picoults neuen Werken, packt der Roman, rührt zu Tränen, regt zum Nachdenken an – und wird zu einem Pageturner, den man nicht mehr aus der Hand legen kann, wenn einen der Sog der Geschichte erfasst hat.

Christian Handel



Hardcover | Erschienen: 1. März 2010 | ISBN: 9783492054003 | Originaltitel: Second Glance | Preis: 19,95 Euro | 463 Seiten | Sprache: Deutsch

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