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Renée ist Concierge in einer Villa in Paris. Sie ist vierundfünfzig Jahre alt und unentwegt bemüht, dem Klischee einer Concierge bis aufs Genaueste zu entsprechen. Sie hat einen fetten, faulen Kater, in ihrer Loge läuft ständig der Fernseher, außerdem ist sie niemals liebenswürdig, aber immer höflich. Die Bewohner der Villa, insgesamt sechs Parteien, mögen sie nicht, aber tolerieren sie. Sie ist die Concierge und niemandem würde einfallen, dass sie mehr sein könnte, als das Klischee, das sie verkörpert.
Paloma ist zwölf Jahre alt. Sie wohnt mit ihren Eltern und ihrer älteren Schwester in der Luxusresidenz, in der Renée Concierge ist. Sie ist nach eigener Aussage außergewöhnlich intelligent, hat längst begriffen, dass das Leben vollständig vorgezeichnet ist und in einem Goldfischglas endet und darum beschlossen, sich dem Leben beziehungsweise dem wartenden Goldfischglas zu entziehen und sich an ihrem dreizehnten Geburtstag das Leben zu nehmen.
Als ein neuer Bewohner in die Rue de Grenelle 7 einzieht, kommt Bewegung in die alteingesessenen Bewohner, von der auch Paloma und Renée nicht unberührt bleiben.
Nach "Die letzte Delikatesse" ist "Die Eleganz des Igels" Muriel Barberys zweiter Roman, der vielfach ausgezeichnet und in Frankreich zum Bestseller wurde. Barbery hat Philosophie studiert und so mag es nicht verwundern, dass die Concierge Renée neben japanischen Filmen und russischer Literatur eine Vorliebe für Philosophie hat. Aus der Ich-Perspektive erzählt sie von der Arroganz der Bewohner und ihrem eigenen, ereignislosen Leben, das geprägt ist von Gedanken über die Welt im Allgemeinen und die Philosophie, hier im Besonderen die Phänomenologie Husserls. So zieht sie sich komplett in ihre Rolle als Concierge zurück, die sie bis zum letzten Klischee auszufüllen versucht, um darüber hinaus ihren Gedanken und Vorlieben nachgehen zu können. Ihre Ich-Erzählungen wechseln sich mit Tagebucheinträgen Palomas ab, die ebenfalls über die Welt sinniert und in ihrem Tagebuch bis zu ihrem Selbstmord Dinge sammeln will, für die es sich zu leben lohnt und die nicht nur geistig, sondern auch körperlich sind. So findet sie Gefallen an Bewegung, beobachtet, analysiert und beschreibt sie. Bis Herr Ozu in die Villa einzieht, geht alles seinen geregelten und scheinbar immerwährenden Gang. Es ist kaum Bewegung in den Leben der beiden Protagonistinnen. Paloma ist unzufrieden mit der geistigen Begrenztheit ihrer Familie. Sie schreibt von ihrem Familienalltag und führt das Verhalten ihrer Eltern und ihrer Schwester immer wieder als Beweis für deren Blindheit sich selbst und anderen gegenüber an. Renée ist nicht ganz so unzufrieden, aber ebenso bewegungslos. Nur den Gedanken von Menschen zu lauschen, auch oder vielleicht besonders, wenn diese meinen außergewöhlich intelligent zu sein, kann ermüden. Die ständige Betonung der Intelligenz, die zwar auch kritisch reflektiert wird, trotzdem aber immer von einer Atmosphäre des Besonderen umgeben ist, ist ebenfalls ermüdend und auch ernüchternd, denn so außergewöhnlich intelligent erscheinen beide Protagonisten nicht. Schließlich können die Protagonisten nur so intelligent sein, wie es die Autorin ist. Wirklich intelligent und den Leser überzeugend wäre eine Geschichte gewesen, in der sich die Protagonisten nicht in voller Bewegungslosigkeit und Vergeistigung befinden würden und Dinge nur geistig reflektierten, sondern mehr Anteil an der Welt nehmen würden, selbst mehr in Bewegung wären und so den Leser in Bewegung versetzen würden. Zu einer intelligenten Geschichte gehört mehr als die hier im Hintergrund anklingende Geschichte vom klugen Aschenputtel, das in der Loge die guten von den schlechten Erbsen trennt, schließlich aber vom Prinzen aus ihrer Einöde und geistigen Einsamkeit befreit wird. Und selbst die Gedanken, die sich beide Protagonisten über die Welt und über das Leben machen, sind nicht: "Wow!", sondern lediglich: "Naja!" Aber von außergewöhnlich intelligenten Protagonisten, die nicht viel mehr tun, als über die Welt und über das Leben sinnieren, erwartet man als Leser einfach mehr als "nur" ein paar Betrachtungen über die Phänomenologie Husserls. Das wirkt, ohne die Einbindung in eine Handlung, ein wenig aufgesetzt.