Media-Mania.de

 Struwwelhitler

A Nazi Story Book by Dr. Schrecklichkeit


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis


Neben der Bibel, Romanen über Templerverschwörungen rund um den Heiligen Gral und Abenteuern in den Gefilden tolkienscher Kreaturen sind es vor allem Kinderbücher, die seit jeher die Bestsellerlisten erobern. Ein Beispiel hierfür stellt der weltbekannte "Struwwelpeter" des Frankfurter Nervenarztes Heinrich Hoffmann dar, der seit seinem Ersterscheinen 1884 mehrere hunderte Auflagen hinter sich hat und auch heute noch im Kanon der Kinderlektüre ganz weit oben steht. Nicht selten wurden die Abenteuer des Suppen-Kaspars, des Zappel-Philipps und des bösen Friederichs auch gern umgedichtet, in Mundart übersetzt, verballhornt oder in Form von Parodien auf aktuelle Zustände auf den Buchmarkt geworfen. So hat es etwa neben einer "Struwwelsuse", einem "Ägyptischen Struwwelpeter" und einem "Struwwel-Skinhead" auch ein "Struwwelhitler" ins Bücherregal geschafft.

Hinter dem Pseudonym "Dr. Schrecklichkeit", der sich für das vorliegende Buch verantwortlich zeichnet, verstecken sich die beiden britischen Autoren Robert und Philip Spence, denen wohl nichts an diesem Klassiker der Kinderliteratur heilig zu sein schien und die sich allem Anschein nach jeglicher moralischer Bedenken entledigt haben, ehe sie den Original-Struwwelpeter gegen eine Hitler-Groteske mit blutenden Fingerspitzen anstelle weltrekordverdächtig langer Fingernägel ausgetauscht und überhaupt das Figureninventar des Kinderbuchklassikers durch namhafte Bonzen des Dritten Reiches ersetzt haben. Eine geschmacklose Verballhornung auf der Basis einer der düstersten Abschnitte des 20. Jahrhunderts?

Mitnichten, wenn man sich eingehender mit dem "Struwwelhitler" auseinandersetzt. So kommt schnell ans Tageslicht, dass es sich bei dem vorliegenden Werk nicht um eine erst jüngst verfasste Räuberpistole auf Kosten der Opfer eines menschenverachtenden Regimes und seiner unbeschreiblichen Taten handelt, sondern um ein geistiges Kind der britischen Propaganda aus dem Jahre 1941, welches Hitler und das NS-Regime während eines europaweiten Krieges der Lächerlichkeit preisgeben sollte. Den Verfassern in die Hände spielten natürlich die mit einer Moral gekoppelten furchtbaren Ausgänge der einzelnen Geschichten des Struwwelpeter-Originals, welche für den "Struwwelhitler" in etwas entfremdeter, propagandistischer Art und Weise übernommen worden sind. So erinnert die Geschichte von Hermann Göring, "who wouldn’t have butter" und stattdessen auf Kanonen pocht, nicht von ungefähr an jene des Suppen-Kaspars, während Hitler, Goebbels und Ribbentrop vom "Comrade Stalin" in ein riesiges Fass roter Tinte eingetaucht werden, womit sie dem Bolschewiken, den sie vorher verspottet haben, in nichts nachstehen. Aus der mit Zündhölzern spielenden Paulinchen wird das Gretchen mit der Kanone, die nicht auf den Rat der alliierten Katzen hören wollte, und in "The Story of Little Musso Head in Air" trägt der Duce die Nase etwas zu hoch. Für einen hohen Wiedererkennungswert des Originals im "Struwwelhitler" sorgen weniger die Verse, welche aufgrund ihrer Ummünzung auf antideutsche Propaganda nicht immer Ähnlichkeiten zum "Struwwelpeter" aufweisen, als vielmehr die gelungenen Illustrationen, von denen sich die meisten gar 1:1 im Original finden ließen, wäre etwa nicht "Little Gobby Poison Pen" an die Stelle des Daumenlutschers Konrad getreten.

Der vorliegende Reprint enthält die gereimten Texte und Illustrationen des englischen Originals, die stets auf der rechten Buchseite zu finden sind, während die linke die Übersetzung von Dieter H. Stündel beherbergt. Wer der englischen Sprache mächtig ist, sollte - nein, muss! - die Übertragung ins Deutsche nur als zweitrangig lesen, denn in den Originaltexten offenbart sich erst die Kunst der Autoren, seinerzeit aktuelle Ereignisse einfallsreich und mit exzellentem Witz in leicht zu merkende Kinderreime zu verpacken, in all ihren Details. Um das Buch daher in all seinen Facetten genießen zu können, sind gewisse Vorkenntnisse in der Geschichte des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges empfohlen, denn erst dann erkennt man die zeitgeschichtliche Motivation der Autoren für die eine oder andere Geschichte wie etwa jener vom "Flying Rudolf", die auf Rudolf Heߒ Flug nach England 1941 anspielt. Einen netten wie auch effektiven Coup des Autorenhaus Verlags stellt der Kunstgriff dar, dass sie für das Vorwort den deutschen Zeithistoriker und Publizisten Joachim Fest gewinnen konnten. Fest, der mit seiner 1973 erschienenen Hitler-Biografie einen Weltbestseller landete, bezeichnet den "Struwwelhitler" als "ein etwas derbes Nebenprodukt des britischen Glaubens, dass sich durch einen Witz die verrücktesten Weltläufe sowie die Zumutungen des Lebens am besten bewältigen ließen", und paraphrasiert damit das Wesen des "Struwwelhitlers" in einem Satz. Die Übertragung ins Deutsche ist durchaus gelungen, kann mit dem englischen Original aber nie Schritt halten.

Es ist nur recht und billig, wenn dem Autorenhaus Verlag ein riesiges Lob für den Reprint der wohl gelungensten aller Struwwelpeter-Parodien ausgesprochen wird. Gottlob, lässt sich schon fast sagen, hat er sich dieses einmalig herrlich-makaberen Werkes angenommen und somit verhindert, dass es auf - zumindest vorläufig - in der parodistischen Versenkung verschwindet. Wie schon anno 1941, als das Werk im Rahmen des "Daily Sketch War Relief Fund" veröffentlicht worden ist, so kommen nun auch Jahrzehnte später die Einnahmen einem guten Zweck, nämlich dem Frankfurter Struwwelpeter-Museum, zugute. Und die zehn Euro blättert man für dieses ebenso sensationell unterhaltsame wie zeitgeschichtlich interessante Kleinod gerne hin.

Michael Höfel



Taschenbuch | Erschienen: 01. Januar 2007 | ISBN: 9783866710146 | Originaltitel: Struwwelhitler | Preis: 10,00 Euro | 56 Seiten | Sprache: Deutsch, Englisch

Werbung

Dieser Artikel könnte interessant sein:

Zu "Struwwelhitler" auf Amazon

Hinweis: Als Amazon-Partner verdiene ich an qualifizierten Käufen.



Ähnliche Titel
Der Club der WeihnachtshasserPauschaltouristFür UweEin Joghurt namens AnnikaMach's noch einmal, Aalbert