Das Lehrbuch "Evolutionsbiologie" von Professor Dr. Ulrich Kutschera, der an der Universität Kassel und der Carnegie Institution Stanford University in den USA tätig ist, ist in dritter Auflage Anfang 2008 erschienen. Es richtet sich an Studenten der Biologie und an der momentanen Diskussion über verschiedene Evolutionstheorien interessierten Laien und Wissenschaftler, die den aktuellen Stand in sachlicher und erschöpfender Darstellung nachvollziehen wollen.
Entsprechend dieser ganzheitlichen Sicht beginnt Kutschera sehr ausführlich mit historischen Komponenten und der Grundlagenforschung im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert. Hier zielt er vor allem auf die Analysen von Jean-Baptiste Lamarck, Charles Darwin und Alfred Russell Wallace ab, die auch heute noch in vielen Lehr- und Schulbüchern der Biologie und Evolution einen hohen Stellenwert genießen.
Im Anschluss an diese historischen Versuche, der Evolution ein erstes Gesicht zu geben, erläutert Kutschera die "Synthetische Theorie der biologischen Evolution", die als allgemein anerkannte Lehrmeinung universitärer Standard ist. Der Autor versucht hier durch zahlreiche Querverweise ein abgesichertes Bild zu vermitteln, betont aber dennoch die Offenheit der wissenschaftlichen Diskussion.
Dann beginnt der Hauptteil dieses Lehrbuches. Zunächst geht der Autor ausführlich auf die "Rekonstruktion der Lebewesen der Vergangenheit (Paläobiologie) ein, ehe er sich dezidiert zur chemischen Evolution und dem Ursprung der Zelle äußert. Dann widmet er sich der Endosymbiose und Zell-Evolution, ehe er im Kapitel "Molekulare Phylogenetik und Evolution: der Stammbaum der Organismen" den praktischen, sehr ausführlich dargelegten Teil abschließt.
Hier liegen die Stärken dieses Lehrbuchs. Unzählige Beispiele werden leicht verständlich beschrieben und dokumentiert. Schade nur, dass viele der Grafiken und Zeichnungen zu klein und aufgrund fehlender Farbe zu undeutlich sind. Hier wären computergenerierte Vierfarb-Abbildungen ein echter Gewinn. Allein die Fälle der Belege, die der Autor für die Mechanismen der Evolution darlegt, könnten den Laien erschlagen. Man muss schon sehr viel Konzentration und Fachwissen mitbringen, um diesem Buch folgen zu können.
Nach dem kurzen Kapitel "Experimentelle Evolutionsforschung: von der Tierzucht zur Computersimulation" führt der Autor aus, wo momentane Forschungsschwerpunkte liegen und belegt diese mit leicht verständlichen Beispielen. Hir liegt der Schwerpunkt, wie auch im gesamten Buch, auf der Praxis und betont die minutiöse Kleinarbeit, die Wissenschaftler weltweit leisten müssen, um Evolutionsmechanismen zu verifizieren.
Dies kommt dem letzten und für den momentan in Universitäten, stärker noch aber in der Presse geführten Diskurs über die biologische Evolution ablehnenden Thesen und Modelle zu Gute. Auf fast vierzig Seiten befasst sich Kutschera mit den Kreationisten und sehr dezidiert auch mit dem sogenannten "Intelligent Design" - einer in den USA und England, aber auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnenden Strömung, die den Schöpfer als Gestalter und Kreateur in den Mittelpunkt ihres Weltbildes stellen willä
Es ist Kutschera hoch anzurechnen und beileibe keine Selbstverständlichkeit, dass er sich um einen sachlichen Ton gegenüber diesen unwissenschaftlichen, Lügen verbreitenden "Ewiggestrigen" bemüht und deren aberwitzige Vorstellungen einer genauen Analyse unterzieht. Wird diese Bewegung meist totgeschwiegen und mit Verachtung gestraft, weicht Kutschera der Diskussion bewusst nicht aus, sondern konzentriert sich auf die leicht zu widerlegenden Axiome dieser Pseudowissenschaftler. Abschließend helfen dem Leser ein Sachwortverzeichnis und eine Literaturliste, sich weiter in die Thematik einzuarbeiten.
Dieses Lehrbuch ist ein Muss für Studenten der Biologie. In kaum einem Buch wird er so ausführlich und kleinschrittig an die Kernthesen der modernen Evolutionstheorie herangeführt. Die praktische Arbeit von Lehre und Forschung betonend, gelingt Kutschera ein wunderbar klarer Überblick über die biologische Evolution. Zwar könnten die vielen Grafiken und Bilder der inhaltlichen Modernisierung folgen und in zeitgemäßem Gewand erscheinen, doch würde dies das erschwingliche Buch vermutlich unbezahlbar machen.
Da Kutschera auch der Diskussion mit Widersachern und Wundergläubigen nicht aus dem Weg geht, kann man sich gut gerüstet selber der Frage stellen, ob man an eine Evolution der Lebewesen vom Einzeller zum Menschen glaubt - und dies mit Fakten belegen -, oder ob man sich lieber auf den allmächtigen Schöpfer verlassen will, der schon dafür sorgt, dass aus einem Vogelei eines Tages die eierlegende Wollmilchsau entsteigt und uns in klar verständlichem Deutsch einen guten Tag wünscht.
Wer die aktuelle Debatte genauer verfolgen will, kann unter evolutionslehrbuch.com nachlesen, wie sich die Diskussion zwischen Wissenschaftlern und Kreationisten entwickelt.