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London, Ende des 19. Jahrhunderts: Gemma braucht eine Weile, bis sie sich in der elitären, steifen Umgebung des Londoner Mädcheninternats Spence eingelebt hat, an dem sie kurz nach ihrem sechzehnten Geburtstag aufgenommen wird. Ihr bisheriges Leben hat sie nämlich sehr freigeistig mit ihrer Familie in den indischen Kolonien verbracht. In eine Außenseiterrolle fühlt sie sich zusätzlich dadurch gedrängt, dass sie ein beängstigendes Geheimnis mit sich herumschleppt. Seit ihrem Geburtstag nämlich wird sie von Visionen heimgesucht, in denen ihr Gespenster erscheinen, die ihr etwas mitteilen wollen. Als eines Nachts der Geist eines jungen Mädchens sie an das Versteck eines alten Tagebuchs führt, wird Gemma klar, dass bereits viele junge Frauen vor ihr von Erscheinungen verfolgt wurden.
Angespornt durch den unkonventionellen Unterricht ihrer Kunstlehrerin beginnt sie schließlich mit drei Mitschülerinnen, ihre Fähigkeiten auszuloten - und entdeckt dabei die Pforte in ein faszinierendes, magisches Reich, in dem die Gesetze der Realität außer Kraft gesetzt scheinen. Bald schon erliegen die Mädchen dem Zauber der fantastischen Parallelwelt, nicht ahnend, welche Gefahr sie damit heraufbeschwören.
Obwohl Julia Nachtmann eine wirklich tolle Sprecherin ist, braucht man eine Weile, bis man sich an ihre Stimme und ihre Textinterpretation gewöhnt hat - vor allem, wenn man die Buchvorlage kennt. Nach einer halben Stunde jedoch erliegt man dem Reiz, der von ihrer Lesung ausgeht. Obwohl der Roman für die Hörbuchfassung um einige Szenen gekürzt wurde, muss man dem Produzententeam anrechnen, dass man dabei sehr sorgfältig und gewissenhaft vorgegangen ist und die Streichungen nicht zu Lasten des Gesamtverständnisses gehen. Ein paar schöne Sequenzen fehlen - eine weitere CD und damit eine weitere Stunde Lesung wären schön gewesen - aber dafür hat das Hörbuch durchgehend Tempo. Etwas nervig ist allerdings, dass der Anfangstrack auf jeder CD so plötzlich eingespielt wurde, dass die ersten Satzbruchstücke zwangsläufig verschluckt werden. Auch hat man völlig darauf verzichtet, Romantitel und Autorenname zu nennen. Die Lesung fängt munter sofort mit der Geschichte an. Hier wäre ein bisschen mehr Sorgfalt schöner gewesen. Dafür hat sich der Verlag mit der Verpackung Mühe gegeben: Die vier CDs werden durch eine klassische, stabile Plastikbox geschützt, die man zusätzlich noch in einen etwas edler wirkende Pappschuber verstaut hat.
Die Geschichte selbst überzeugt ohnehin. Libba Bray ist ein beeindruckender Debütroman gelungen, der vor allem durch seine düstere, magische und geheimnisvolle Atmosphäre lebt und von seinen extrem glaubhaft gezeichneten Charakteren. Gemmas Suche nach der Ursache ihrer Visionen und der Wahrheit hinter der verschleierten Tragödie, die das Internat Spence umgibt, entfaltet sich Detail für Detail vor dem Zuhörer und hält ihn in Atem. Die bildgewaltigen Erscheinungen, die den Mädchen begegnen, erinnern atmosphärisch etwas an den Film "Heavenly Creatures". Die Mystery-Elemente und der Charme des viktorianischen Londons tun ihr übriges dazu, Stimmung aufkommen zu lassen. Wie Gemma rätselt der Zuhörer zunehmend aufgeregter, wer sich hinter dem Namen Circe verbirgt und was es mit dem mysteriösen Feuer im Ostflügel der Schule auf sich hatte. So reich an stimmungsvollen, aufeinander abgestimmten Details ist die Geschichte, dass man sogar darüber hinwegsieht, dass die Hauptfiguren in all ihrer Glaubhaftigkeit auch manchmal ganz schön anstrengend sind. Dass die Autorin hier keine perfekten Idealbilder zeichnet, sondern mit den negativen Seiten ihrer Handlungsträger nicht hinterm Berg hält, macht "Gemmas Visionen" allerdings nur realistischer.
Ingesamt überzeugt Libba Brays packender Trilogieauftakt um den "Geheimen Zirkel" auch als Hörbuch, sieht man mal von ein paar zu vernachlässigenden Mankos ab. Wie Gemma in ihre Visionen wird der Zuhörer unaufhaltsam in eine faszinierende Geschichte gezogen, die einen erst wieder loslässt, wenn die letzten Töne verklingen.