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"Niederknüppeln" - niemand Geringeres als Stephen King verwendete einst diesen Begriff, um die (etwas) härteren Varianten des Horrorgenres zu umschreiben; etwa wenn ein besessenes Mädchen dem Priester Erbsensuppe ins Gesicht spuckt oder Irre mit Menschenmasken und einer Kettensäge bewaffnet ihre Opfer in handliche Portionen schneiden. In den Achtzigern bekam das blutige Kind schließlich einen Namen - Splatterpunk - und wurde zum Kult bei Fans und gleichzeitig zur Zielfläche von Moralaposteln. Letzteres sicherlich nicht ohne Grund - denn die Autoren der Bewegung gingen in ihrem Bestreben, "einen Aufstand gegen die traditionelle, kleinlaute und suggestive Horrorstory anzuzetteln" (so Splatterpunk-Erfinder David J. Schow), meist mehr als nur einen Schritt zu weit. Und nicht selten wurde dabei der Sinn gegen reichlich viele Gewalt- und Schockmomente eingetauscht, was den Beitrag aber deshalb nicht zwangsläufig besser werden ließ. Dem gegenüber stehen aber auch Meisterwerke wie etwa Clive Barkers "Bücher des Blutes" (1984-1986), die klassische Horrorversatzstücke völlig neu interpretierten, sprachlich auf höchstem Niveau rangierten - und für die ein ziemlich resistenter Magen oftmals eine gute Voraussetzung war.
Sicher, einen Autor wie den Österreicher Rainer Innreiter mit einer Legende wie Clive Barker vergleichen zu wollen, mag ein wenig zu viel des Guten sein - ist aber andererseits gar nicht mal so übertrieben. Beide Autoren können großartig fabulieren und sind begnadete Geschichtenerzähler, doch während sich Barker im Laufe der Jahre immer mehr von seinen scharlachfarbenen Wurzeln entfernt hat, macht Innreiter genau das Gegenteil in seinem neuen Buch. Sechsmal übertritt der Autor die Grenze der Tradition und Suggestivität und wagt sich auf das Territorium des Niederknüppelns.
"Puppen" bestreitet den Beginn des Bandes. Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte ist die etwas schüchterne und sonderbare Jenny, die seit dem Verlust ihrer geliebten Mutter niemanden mehr hat außer ihren Puppen. Wie es der Zufall will, begegnet Jenny dem frisch aus der Anstalt entlassenen Kriminellen Douglas Frampton, der Jenny noch aus seligen Schulzeiten kennt und sie bereits als sein nächstes Opfer auserkoren hat. Was Douglas jedoch nicht wissen kann ist, dass die Rollen in dieser Episode eigentlich vertauscht sind ...
Auch wenn man den Ausgang von "Puppen" sehr schnell ahnt und es in dieser Hinsicht kein überraschendes Finale gibt, bleibt dies eine sehr starke Story samt bitterbösem Abgang.
"Leichenbaum": Laut einer Legende werden die Toten zurückkehren, wenn die uralte Eiche jemals dem Erdboden gleichgemacht werden sollte. Aberglaube? Märchen? Nicht für die Bewohner des Städtchens Friedburg, die sämtliche Warnungen in den Wind schlagen und sich nun mit einer Schar Untoter herumschlagen müssen ...
Eine sehr gute Zombie-Erzählung; temporeich, spannend und mit einigen unvorhergesehenen Wendungen.
"Schmarotzer": Während seines kleinen Waldausfluges - beziehungsweise der Flucht vor der nervigen Ehefrau - tankt Frank nicht nur seine Lungen mit sauberer Luft, sondern fängt sich zudem noch einen ziemlich ekelerregenden Parasiten ein, der sehr schnell die Kontrolle übernimmt.
Die vielleicht beste Geschichte des Buches. "Schmarotzer" ist Splatterpunk pur und trieft vor bitterbösem Humor.
"Tory": Eine Familie mit leicht unkonventionellen Essgewohnheiten macht die Staaten unsicher - doch dann läuft etwas schief ...
Auch diese Geschichte kann mit ebenso plastischen wie blutigen Bildern überzeugen.
"Die Toten beneiden, die Lebenden belachen": Nun ist es passiert - die Apokalypse ist über die Menschheit gekommen. Tod, Chaos und Wahnsinn preschen Seit' an Seit' mit den entfesselten Dämonen durch die Straßen. Und da soll ausgerechnet der eher unscheinbare Viktor in der Lage sein, dem ein Ende zu bereiten? Laut dem Engel Atuesuel ist dem so, denn Viktors Seele ist rein. Doch der Preis unendlich hoch.
Nicht ganz so blutrünstig wie die Vorgänger, setzt sich Rainer Innreiter in dieser Erzählung mit dem Menschsein und den Religionen dieser Welt auseinander - stark!
"Erwachen": Ausgelaugt von der langen Autofahrt, findet sich ein älteres Ehepaar - zusammen mit ein paar anderen Gästen - im Gasthaus "Zum Goldenen Hirschen" wieder. Doch anstelle von Gastlichkeit und gutem Essen werden die Anwesenden mit dem blanken Terror konfrontiert, als sie ein geheimnisvoller Nebel von der Außenwelt isoliert, der unheimliche Kreaturen mit sich bringt.
Eigentlich müsste es für diese Story von vornherein einen Abzug geben, denn es ist schon ziemlich offenkundig, dass hier Stephen Kings großartiger Erzählung "Der Nebel" mehr als nur Tribut gezollt wird. Doch zum Glück kupfert der Autor nicht bloß ab, sondern erstellt eine gänzlich neue Variante des Themas.
Fazit: "Der Leichenbaum" ist zwar Horror der härteren Gangart, entzieht sich aber dank der sprachlichen Finesse und gekonnter Erzähltechniken der breiten Masse und überzeugt vollends. Kurzweilig, blutig, gut!