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Obwohl der Menschenhandel nach den Statistiken des Bundeskriminalamtes in Europa leicht rückläufig ist und immer mehr Verfahren erfolgreich abgeschlossen werden können, ist die Dunkelziffer der zu Arbeit oder Prostitution gezwungenen Menschen, vor allem Frauen, immer noch erschreckend hoch. Ein brisantes Thema also, dem sich die norwegische Schriftstellerin Herbjørg Wassmo in ihrem Roman "Zwischen zwei Atemzügen" widmet.
Die fünfzehnjährige Dorte lebt mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Vera zur Untermiete bei Verwandten des bereits verstorbenen Vaters in Litauen. Das Geld ist knapp, Arbeit gibt es keine. Einziger Lichtblick in Dortes ärmlichem Leben ist die aufkeimende Liebe zwischen ihr und dem jungen Nikolai. Doch auch das soll ihr genommen werden, denn Nikolai verlässt für eine Lehre das Dorf.
Das naive Mädchen sieht endlich eine Möglichkeit, den Unterhalt für die Familie zu bestreiten, als eine flüchtige Bekannte namens Nadia davon schwärmt, nach Schweden zu gehen, um dort als Kellnerin viel Geld zu verdienen. Dorte solle Nadia doch begleiten, dann könnten sie zusammen das Land verlassen. Am besten heimlich, da sonst Dortes Mutter sie sicher aufhalten würde. Dabei täten die beiden es doch nur für ihre Familien. Und Liudvikas, ein Bekannter, würde ihnen diese Jobs verschaffen.
Dorte ist zunächst nicht begeistert von der Idee, doch dann denkt sie an die ausstehende Miete und daran, wie ihre Mutter Tag für Tag zu Gott betet, damit es ihnen besser gehen möge. Und so entschließt sie sich trotz aller Bedenken, Nadia zu folgen. Doch zum vereinbarten Treffpunkt erscheinen nur Liudvikas und ein fremder Mann. Nadia käme später nach, heißt es. Dorte erkennt bald, dass die Männer nicht vorhaben, ihr eine Stelle als Kellnerin in Schweden zu besorgen. Das ist der Beginn einer langen und brutalen Odyssee, auf der Dorte lernt, was Schmerz bedeutet - denn sie wird von den Männern zur Prostitution gezwungen, sie wird weiterverkauft und beschmutzt. Ein Albtraum, aus dem Dorte nicht mehr aufwachen kann ?
Menschenhandel, Zwangsprostitution, Erniedrigung - können solch brisanten Tabuthemen feinfühlig und authentisch in einem Roman verarbeitet werden, ohne zu reißerisch und plakativ zu geraten? Herbjørg Wassmo beweist, dass es geht. "Zwischen zwei Atemzügen" ist das Porträt eines unschuldigen Mädchens, das in einer grausamen, düsteren und durchaus realen Welt fast zugrunde geht. Die Hoffnung, ihrer Familie zu helfen, ist ihr Antrieb, ihr Grund, weiterzumachen, trotz all der Demütigungen und Schmerzen, die ihr zugefügt werden. Passiv muss sie auf das reagieren, was ihr angetan wird, ihre Naivität und ihr jugendliches Unwissen tun ihr Übriges dazu. Diese Hilflosigkeit berührt zutiefst und macht betroffen. Vor allem, als nach etwa siebzig Seiten Dortes Albtraum beginnt, kämpfen die Überwindung zum Weiterlesen und der Wunsch zu erfahren, wie es mit Dorte weitergeht, miteinander. Denn der Leser wird konfrontiert mit schonungsloser Offenheit, die sich jedoch nicht in der Wahl der Worte bemerkbar macht: Wassmo arbeitet sprachlich sehr einfühlsam, wartet mit wunderschönen Bildern und Metaphern auf, erspart dem Leser plakative und obszöne Beschreibungen und konfrontiert ihn dennoch mit dieser grausamen Wahrheit, die Dorte Tag für Tag in ihrer Gefangenschaft ertragen muss. Dass man trotz des gerade für Frauen abstoßenden Themas immer und immer weiter liest, liegt nicht zuletzt an der gelungenen Übersetzung von Gabriele Haefs.
Und mit Dorte stumpft man Seite für Seite etwas mehr ab, lernt mit der ständigen Gewalt umzugehen, distanziert sich innerlich von dem Geschehen. Trost spenden - Dorte wie dem Leser - vor allem die traumhaften Passagen, in denen Dorte Zwiegespräche mit ihrem verstorbenen Vater führt oder an die Lieben daheim denkt. Diese kleinen Inseln der Zuflucht häufen sich, je tiefer Dorte in die Fänge des Menschenhandels gerät, und lenken für eine kurze Zeit von der brutalen Realität ab.
Ein Buch, das nachdenklich und betroffen stimmt: "Zwischen zwei Atemzügen" ist eine literarisch anspruchsvolle und einfühlsame Auseinandersetzung mit dem brisanten Thema des Menschenhandels. Herbjørg Wassmo schont den Leser nicht und bietet ihm gleichzeitig den Trost einer stilistisch wunderbaren Sprache. Allerdings wird die Intensität des Romans nicht jedem Leser liegen, denn die Glaubwürdigkeit der Schilderungen schlägt bisweilen aufs Gemüt.