Es müssen nicht immer die großen Katastrophen des Lebens sein, die unser Leben beeinflussen, auch subtile Kränkungen, Abwertungen oder unbedacht geäußerte Worte, die sich dann im Laufe des Lebens anhäufen, können zu gravierenden Verletzungen führen. Diese beeinträchtigen dann die Lebensgestaltung eines Menschen, rauben ihm die Lebensfreude oder Schlimmeres.

Was unterscheidet jedoch Menschen, die an ihren Verletzungen zerbrechen, von denjenigen, die sogar noch daran wachsen? Dieser Frage geht Andreas Salcher in dem vorliegenden zweihundertachtzig Seiten starken Hardcoverbuch nach, das 2009 im ecowin Verlag erschienen ist.

Nach einem einführenden Vorwort aus der Feder von Mihaly Csikszentmihaly erörtert Andreas Salcher das Thema in drei Teilen, die er "Gefahrenzonen", "Sieger und Verlierer" und "Die Schule des Herzens" überschrieben hat. Im ersten Teil zeichnet er eine Landkarte der inneren Verletzungen und gibt eine Einführung in und eine Orientierung über das Thema. Was letztendlich die Menschen, die Verletzungen integrieren und transformieren können, von denjenigen unterscheidet, die daran verzweifeln, untersucht der Autor im Teil "Sieger und Verlierer". Konkret wird es dann im dritten Teil: Hier stellt Andreas Salcher die Lehre des Benediktiner-Mönchs David Steindl-Rast vor, den Glücksforscher Mihaly Csikszentmihaly und ein erfolgreiches Projekt von Bill Strickland, der mit gefährdeten Jugendlichen aus sozial schwachen Problemstadtteilen mit einer hohen Kriminalitätsrate arbeitet. Das Buch schließt mit persönlichen Anmerkungen und Danksagungen des Autors.

Bekannt geworden ist der Autor schon durch die sogenannten "Waldzell Meetings" im Stift Melk. An diesen Meetings nahmen neben anderen Teilnehmern bislang sieben Nobelpreisträger, bedeutende Wissenschaftler und internationale Künstler teil, unter ihnen der Dalai Lama, Christo und Jeanne Claude, Paulo Coelho, Frank Gehry und Isabel Allende. Auch Salchers erstes Buch "Der talentierte Schüler und seine Feinde" ist sehr positiv aufgenommen worden.

"Der verletzte Mensch" beginnt mit einer Fülle von Fallbeispielen, die sehr spannend zu lesen sind und in denen sich jeder wohl auf die eine oder andere Art und Weise wiederfindet und ein Stück des eigenen Alltags oder der persönlichen Vergangenheit gespiegelt sieht. Sicherlich konnte der Autor aus einem reichen Fundus von Zuschriften schöpfen, die ihm als Resonanz auf sein erstes Buch zugegangen sind. Aber auch Quellen von Kränkungen in der Lebensmitte, der unterschiedliche Umgang von Frauen und Männern mit Verletzungen und die Ausgrenzung vom Menschen im Alter werden genannt. Hier legt der Autor den Finger auf zahlreiche wunde Punkte in der Gesellschaft von Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Wie geht man nun mit all diesen Verletzungen um? Anregungen hierzu kann man sich anscheinend selbst bei Harry Potter und bei Star Wars holen: Dort werden sogenannten Heldenreisen beschrieben, in denen man erfährt, wie man Schwächen in Ressourcen umwandeln kann. Die Literatur ist offensichtlich voll von armen Waisenkindern, die dann irgendwann zu ihrer wahren Größe auflaufen, die größte Verletzung wird zum größten Geschenk des Lebens.

Eine Fülle von Informationen in anschaulicher Form wird dargeboten, einzig einige Untersuchungen und Zahlen fielen wohl der leichteren Lesbarkeit zum Opfer, da wüsste man an einigen Stellen gerne mehr. Ansonsten sind Quellen und Literaturhinweise am Ende eines jeden Kapitels aufgelistet, falls man noch weiterlesen möchte, oft wird auch eine Website genannt.

Andreas Salcher gibt einen umfassenden Einblick über die Ursachen von Verletzungen und zeigt auf, wie sich diese dann später äußern. Er nennt konstruktive Vorschläge, um mit einmal erlittenen Verletzungen umzugehen. Wichtige Erkenntnisse werden in einem Überblick noch einmal zusammengefasst, dabei greift der Autor auf Erkenntnisse aus Psychotherapie, Anthropologie, Sozialwissenschaften und dem Bereich der Spiritualität zurück und nennt, wie schon erwähnt, auch Beispiele aus der Literatur. Es ist also eine interessante, unterhaltsame und gewinnbringende Lektüre, die den Leser erwartet.

Das Buch ist darüber hinaus empfehlenswert für Menschen, die an ihrem inneren Wachstum und mehr Lebensqualität arbeiten möchten, um einem permanenten Unterton des Unwohlseins im Alltag auf den Grund zu gehen. Es ist eher nicht für Menschen mit schweren Traumatisierungen und den daraus folgenden Störungen gedacht, hier wird man mit Dankbarkeit und Flow sicher weniger bewirken können, um die eigene Lebenssituation und die inneren schwierigen Zustände zu bewältigen und zu verbessern - vielleicht ergänzend oder im Anschluss an andere Therapien.