Lotte langweilt sich. Sie sitzt auf dem Sofa und überlegt was, sie machen kann. Ihr fällt nichts ein, absolut nichts. Eine ganze Stunde soll sie alleine bleiben. Eine winzige Stunde, hat ihre Mutter gesagt. Doch schon nach wenigen Minuten wird aus der winzigen Stunde ein endloses Meer an Zeit. Nichts, gar nichts, kann man alleine machen. Lotte schaut sich um. In diesem Zimmer ist es so langweilig, dass Lotte am liebsten zu ihrer Mama in den Nebenraum rennen würde. Darf sie aber nicht - eine Stunde lang.
Aber da, hat sich da nicht etwas bewegt? Lotte sieht genau hin. Der alte, chinesische Schrank steht da schon ewig. Und nie hat Lotte ihn auch nur eines Blickes gewürdigt. Ganz vergilbt, alt und farblos ist auf den Türen ein Drache zu erkennen. Und dieser Drache, da ist sich Lotte ganz sicher, hat ihr eben zugezwinkert. Lotte traut ihren Augen kaum. Doch da springt der Drache auch schon auf den Boden und fordert Lotte auf, mit ihm zu spielen. Eine winzige Stunde lang.

Doris Dörrie prangt als Autorenname oben auf dem Cover. Die berühmte, preisgekrönte Regisseurin schreibt Kinderbücher? Da muss man einen zweiten Blick riskieren, das Buch gar kaufen. Die kann doch alles, was sie anpackt - bestimmt auch tolle Bilderbücher schreiben.

Leider erweist sich der Text als mittelmäßig, wenig überraschend und irgendwie - "Nomen est omen" - als langweilig. Das hat man irgendwo schon mal gehört, gelesen, gesehen. Keine besondere Sache - und das von Doris Dörrie? Ja, denn auch sie kocht offensichtlich nur mit Wasser und ist nicht in jeder Beziehung ein Genie. Bilderbücher schreiben gehört jedenfalls sind nicht zu ihren größten Talenten. Zwar ist das Buch nicht schlecht, gefällt den Kleinen sogar ganz gut, doch nicht etwa wegen des Textes, der ist und bleibt banal. Nein, die Bilder gefallen. Zumindest, wenn man dem Zeichenstil etwas abgewinnen kann. Das können nicht alle Erwachsenen, sicher auch nicht alle Kinder, doch irgendwie hat die Art und Weise, Menschen, Dinge und Bewegungen zu illustrieren etwas Besonderes. Das nimmt viele Kinder gefangen und macht "Lotte langweilt sich" zu einem netten Bilderbuch.

Wer sich das Cover genau ansieht, bekommt bereits einen guten Eindruck, wie die Illustratorin Julia Kaergel die Welt sieht - respektive die Welt für Kinderaugen interpretiert und sichtbar macht. Einfache Gesichter, puppenhafte Körper, seltsame Perspektive, nette, kleine Details, sanfte, harmonische Farben und geschickte, auf das Wesentliche hindeutende Raumaufteilung und Konzeption.
Offensichtlich sind diese Zeichnungen für Kinder nahe an der Realität, machen ihnen keine Probleme und locken das ein oder andere Lächeln auf ihre Gesichter. Was der Text von Doris Dörrie nicht schafft, gelingt Julia Kaergel, sie fasziniert. Aber nur, wenn man diesen Stil mag.