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Neapel, Stadt der zwei Gesichter: einerseits Millionenstadt, regionales Zentrum und Anziehungspunkt für Touristen aus dem In- und Ausland, andererseits eine Metropole, in der Armut und Kriminalität regieren und in der die kriminelle Vereinigung Camorra die Fäden zieht. Die Camorra nennt sich selbst "das System" - und Matteo Garrones Verfilmung des Bestsellers "Gomorrha" von Roberto Saviano zeigt, was das in der Realität bedeutet.
Der Film erzählt die fiktiven Geschichten verschiedener Menschen, die alle in gewisser Weise mit der organisierten Kriminalität verbunden sind. Sei es der 13-jährige Totò (Salvatore Abruzzese), der mit seiner Mutter in einer heruntergekommenen Vorstadt Neapels lebt und sich vom schnellen Geld und der Macht blenden lässt, die das Verbrechen verspricht. Seien es Marco (Marco Macor) und Ciro (Ciro Petrone), zwei Jugendliche, für die alles nur eine große Eigeninszenierung von "Scarface" ist, bis sie in ihrem Übermut die falschen Leute verärgern. Oder sei es der gealterte Meisterschneider Pasquale (Salvatore Cantalupo), der aus Geldnot und Frustration zweigleisig im Betrieb seines Chefs und in einer chinesischen Textilfabrik arbeitet und so ins Visier der Camorra gerät. Sie alle und viele andere leben in einer Welt, die jeden Tag Entscheidungen von ihnen verlangt - und wer auch nur einmal falsch wählt, lebt gefährlich ...
Dass es mitten unter uns kriminelle Unterwelten gibt, ist wohl den meisten Menschen klar. Wie diese aufgebaut sind und wie sie funktionieren, wissen dagegen die wenigsten, die nicht in diesen Kreisen verkehren. Die Camorristi waren wenig begeistert, als Roberto Saviano nach mehrjähriger Recherche in seinem Doku-Roman "Gomorrha" die Praktiken des Verbrechersyndikats in Neapel aufdeckte und auch mit echten Namen nicht geizte. Seitdem steht Saviano unter Personenschutz, ein normales Leben ohne Leibwächter ist aus naheliegenden Gründen undenkbar geworden. Matteo Garrones Verfilmung erregte weniger die Gemüter: Immerhin erzählt sie nur Teile eines bereits veröffentlichten Buches nach. Beispielhaft zeigt Garrones Film Episoden aus dem Roman, gibt sich bewusst fragmentarisch und erweist sich in vielerlei Hinsicht als inszenatorisch gelungene Ergänzung zu Savianos Werk. Es ist eine Sache, von bestimmten Zuständen zu lesen - sie bildlich vor sich zu sehen eine ganz andere. "Gomorrha" wurde an Originalschauplätzen mit Laiendarstellern gedreht, was dem Film eine ganz eigene, erbarmungslos authentische Atmosphäre verleiht. Die gewaltigen Plattenbauten der Vorstadt Scampia; die von Ruinen übersäten Felder im Umland, in denen Waffen oder Leichen deponiert werden; die illegalen Giftmülldeponien, in denen toxisches Material lastwagenweise verscharrt wird; und nicht zuletzt die Menschen, die zwischen Angst vor und Profit von der allgegenwärtigen Camorra leben - all das ergibt ein schmerzhaft wahrhaftiges Gesamtbild der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Es ist den Machern hoch anzurechnen, dass sie die altbekannten Gangstermythen von Ehrbarkeit und gerechtfertigter Rebellion mit "Gomorrha" Lügen strafen: Wenn Marco und Ciro beispielsweise in ihrer jugendlichen Ahnungslosigkeit "Scarface" nachspielen, dann ist das weniger als Hommage gedacht, es spielt vielmehr auf die traurige Illusion einer Welt voll Macht und Geld an, die die beiden niemals erreichen werden. Ohne die Klassiker des Gangsterfilms von "Der Pate" zum bereits genannten "Scarface" abzuwerten, so haben sich diese Werke doch einer falschen Heldenverehrung schuldig gemacht, die Saviano und Garrone mit beinhartem Realismus mühelos in Stücke schlagen. Der einzige Wermutstropfen des in der Tradition von Filmen wie "City of God" stehenden Films ist struktureller Art: Die gezeigten Schicksale bleiben unverbunden und bis zu einem gewissen Grad fast unpersönlich, sodass jegliche emotionale Annäherung des Zuschauers an einzelne Charaktere verwehrt bleiben muss. So entsteht ein höchst informativer, bisweilen allzu nüchterner Blick auf den alltäglichen Überlebenskampf in Neapel, der mehr schockiert als berührt.
Da es sich bei dem vorliegenden Exemplar um eine Presse-DVD handelt, können weder die technische Qualität noch das Bonusmaterial bewertet werden.