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 Der Auftrag


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Tina von Lambert, Ehefrau eines namhaften Psychologen, ist offensichtlich aus ihrer Ehe ausgebrochen und wurde in einem nordafrikanischen Land am Rand der Wüste, ganz unmittelbar in der Nähe eines muslimischen Heiligtums vergewaltigt und ermordet aufgefunden. Der Witwer fühlt sich mitschuldig an ihrem Tod, weil er sie nach seiner eigenen Einschätzung mehr als Patientin denn als Ehefrau gesehen und behandelt hat; sie schien depressiv zu sein.
Von Lambert beauftragt die bekannte Portraitfilmerin F., den Tod seiner Frau aufzuklären und dessen Umstände zu dokumentieren. Sie erhält die Aufzeichnungen des Psychologen zum "Fall" und das Tagebuch der Ermordeten. Zu ihrer eigenen Überraschung nimmt sie den grotesk erscheinenden Auftrag an. Ihre Nachforschungen führen sie nach einem kurzen Intermezzo in der heimischen Schweiz in das Land, in dem Tina von Lambert zu Tode kam. Doch Aufklärungsarbeit ist hier nicht erwünscht, wie sie unmittelbar feststellen muss. Es herrscht eine unerbittliche Konkurrenz zwischen dem Polizeichef und dem Chef des Geheimdienstes, die beide versuchen, die F. zu instrumentalisieren, und sie dabei gründlich an der Nase herumführen. Filmmaterial verschwindet, sie und ihr Team werden Zeugen eines absurden Verhörs und der Hinrichtung des angeblichen Täters.
Schließlich bringt der Geheimdienst sie - ohne ihre Mitarbeiter - in das Hotel, in dem sich das Mordopfer vor seinem Tod aufgehalten hat. Gänzlich isoliert und doch immer beobachtet forscht sie weiter, stellt fest, dass im Grunde nichts so ablief, wie allgemein angenommen wird, und trifft unter tragischen Umständen auf die einzige Person, die offensichtlich des mörderischen Rätsels Lösung kennt.

Das nicht selten gefährliche Spiel aus Beobachten und Beobachtetwerden steht im Zentrum dieser Novelle, deren 24 Kapitel aus je einem komplexen Satz bestehen. Um das Beobachten geht es schon zu Anfang, als der Psychologe von Lambert der F. schildert, wie seine Frau für ihn hauptsächlich zu einem medizinischen Untersuchungsobjekt wurde. Auch der Logiker D., ein von der F. konsultierter Bekannter, der in der Sekundärliteratur meistens mit Dürrenmatt selbst identifiziert wird, bringt dieses Thema auf und äußert sich detailliert dazu, wie ein Beobachter selbst zum Beobachter wird und der ursprüngliche Beobachter somit zum Beobachteten, woraus ein häufig eskalierendes Wechselspiel resultiert. Genau dieses Wechselspiel äußert sich schon frühzeitig nicht nur in der Beziehung, die zwischen der Patientenakte des Psychologen und dem Tagebuch seiner Frau besteht, in denen es um Beobachtungen am jeweils anderen geht, sondern auch in der absurden Szene, in denen Polizisten das Team der F. dabei filmen, wie es den Polizeipräsidenten filmt. Das Thema zieht sich bis zum Ende durch die Novelle und nimmt immer größere Dimensionen an bis hin zum bewusst Grotesken; Philosophie und Kriminalerzählung gehen eine verblüffende, bisweilen verstörende Symbiose ein.
Dürrenmatt erzählt wie immer pointiert, dabei sachlich - wenn auch nicht ohne gelegentliche Ironie und Komik - und scheinbar distanziert. Seine Charaktere sind sorgfältig durchdacht, das Verwirrspiel um die Tote hat er perfekt aufgezogen. Dass die Novelle eine Entwicklung hin zum geradezu Surrealen nimmt, macht sie keineswegs weniger packend und glaubwürdig. Und das Kernthema hat keineswegs an Aktualität verloren, im Gegenteil.
Zwei der drei CDs enthalten die Hörbuchversion der Novelle, ausdrucksstark und spannend von Dürrenmatts Witwe Charlotte Kerr und Gert Heidenreich im Wechsel gelesen. Auf der dritten CD findet man eine Werkstattlesung der ersten elf Sätze beziehungsweise Kapitel aus dem Jahr 1986; hier lesen Charlotte Kerr und Dürrenmatt selbst.
Freilich kommen die Kapitel in der Hörbuchversion nicht als komplexe Sätze an, da die Sprecher zwangsläufig Luft holen und Zäsuren einfügen müssen. Das dürfte jedoch angesichts der dichten Atmosphäre und der perfekt wiedergegebenen Spannungsbögen keinen Hörer stören, zumal der Hörbuchhörer üblicherweise seine Gründe hat, die Audioversion gegenüber der Printversion zu bevorzugen. Die Aufmachung wirkt schlicht, ansprechend und zweckmäßig, wie man es von Diogenes kennt. Auch das Booklet ist inhaltlich wie optisch attraktiv gestaltet. So bietet das hier besprochene Hörbuch ein interessantes Stück aus Dürrenmatts Spätwerk in einer ausgezeichneten Lesung - oder eigentlich in zweien.

Regina Károlyi



CD | CD-Anzahl: 3 | Erschienen: 1. Juni 2009 | Laufzeit: 203 Minuten | Preis: 24,90 Euro

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