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Kriminalromane gehören zu den meistgelesenen und meistgeschriebenen Büchern. Sie sind überall auf der Welt beliebt. Die Literaturwissenschaft hat mit ihrer Anknüpfung an pragmatische und alltagssoziologische Fragestellungen die Beschäftigung mit der ersten Literatur um die Unterhaltungsliteratur erweitert. Peter Nusser, Autor dieses Buches, begleitet diese Entwicklung in der Literaturwissenschaft seit langer Zeit. Ebenso bezeugt sein Buch, dass er in der Krimiliteratur auf dem neuesten Stand ist. Neben Klassikern wie Poe, Doyle und Christie findet man moderne Autoren wie Mankell oder Grimes. Hier liegt die
vierte, aktualisierte Auflage des deutschen Standardwerks zum Krimi vor.
Das Buch gliedert sich in fünf große Abschnitte:
Der erste Abschnitt diskutiert den Untersuchungsgegenstand und die Untersuchungsmethoden. Was ist überhaupt ein Kriminalroman? Wie lässt er sich gegen andere Literatur, in der Verbrecher auftauchen, abgrenzen? Was unterscheidet einen Krimi von Dorothy L. Sayers zum Beispiel von Dostojewskis
Schuld und Sühne? Nusser referiert hier Definitionen und erörtert diese kritisch. Im Übrigen laufen in diesem Buch Krimi und Thriller gleichberechtigt nebeneinander. Während der Krimi durch seine Rätselspannung sich zur Vergangenheit orientiert, zielt der Thriller durch seine Handlungsspannung auf die Zukunft. Nusser betont aber auch, dass kein Krimi und kein Thriller in Reinform vorliegen.
Im ersten Abschnitt werden außerdem die wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden vorgestellt.
Wurden zunächst Definitionen vorgestellt, so müssen diese im Weiteren verfeinert werden. Dies passiert im zweiten Abschnitt. Welche typischen Elemente und Strukturen liegen bei Krimi und Thriller vor? Hier werden die Definitionen also ausdifferenziert. Besonderes Augenmerk legt der Autor auf Handlung, Figuren, Räume und Gegenstände, die in Krimi und Thriller vorkommen. Nusser fokussiert hier also die (fiktive) Welt, die dieses Genre erschafft, nicht die sprachlichen Muster. Zwar lässt sich beides nicht eindeutig trennen, jedoch gehört das Erschaffen von literarischen Welten eher zur Poetologie der Gattung, während sprachliche Muster Gegenstand der Textrhetorik sind.
Der dritte Abschnitt umreißt die Geschichte der beiden Genres. In einem ersten Teilabschnitt führt Nusser Bedingungen auf, unter denen sich Krimis und Thriller entwickeln konnten. In einem zweiten und dritten Teilabschnitt stellt er dann wesentliche Entwicklungen der beiden Genres vor. So gilt als Urvater der Detektivgeschichte Edgar Allan Poe. Außerdem betont Nusser die Nähe zum analytischen Drama. Krimis neigen zudem zu dekonstruktiven Verschiebungen, wie man an klassischen Beispielen wie Dürrenmatt oder in den letzten zwanzig Jahren bei Paul Auster sieht.
Thriller dagegen verknüpfen sich eng mit dem Schauerroman des 19. Jahrhunderts, aber auch dem klassischen Abenteuerroman. Die Nähe zu James Fenimore Cooper, Karl May oder Wilkie Collins ist augenfällig. Auf der anderen Seite stehen die Heftchenromane mit sensationsheischenden Geschehnissen, die sich seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreuen.
Der vierte Teilabschnitt gibt einen Überblick über Neuansätze in der Kriminalliteratur. In zwei Exkursen werden hier außerdem die Kriminalliteratur der DDR und die Funktion des schwarzen Humors dargestellt.
Die Beliebtheit des Krimis ist natürlich auch Untersuchungsgegenstand der Sozialpsychologie. Dies wird im vierten Abschnitt erläutert. Nusser stellt Forschungsergebnisse vor, die untersuchen, warum Menschen Krimis oder Thriller lesen. Krimis bieten neben dem intellektuellen Vergnügen, mitraten zu können, auch eine stark konservative Tendenz, nämlich den Sieg der herrschenden Moral darzustellen, aber auch die demokratische Tendenz, dass vor dem Gesetz alle gleich sind und der Verbrecher seiner gerechten Strafe nicht entgeht. Thriller dagegen spielen sehr viel stärker mit existentiellen Ängsten. Statt der Gerechtigkeit wird hier die Rache fokussiert. Dementsprechend gibt es in Thriller stark ausgeprägte Feindbilder, die nicht nur oft moralisch diskreditiert, sondern auch mit monströsen Eigenschaften versehen werden.
Ein abschließender, fünfter Abschnitt behandelt die Didaktik des Kriminalromans, also die Vermittlung der kritischen Lektüre in der Schule.
Peter Nusser bietet mit diesem Buch eine Einführung in das Genre, nicht mehr. Dabei balanciert er geschickt auf der teilweise recht schmalen Grenze zwischen Alltagssprache und Fachbegrifflichkeit, doch deutlich so, dass das Buch allgemein verständlich bleibt.
Trotzdem muss man das Buch kritisch sehen. Auf der einen Seite schafft Nusser auf wenigen Seiten die klare Darstellung wesentlicher Elemente des Kriminalromans, für die die Ratgeberliteratur zum Krimischreiben teilweise zweihundert unklare Seiten braucht. Zum anderen beziehen sich diese Elemente aber eher auf die fiktionale Welt, als auf Figuren in der Sprache. Metonymien oder Argumentationsketten, wesentliche Elemente im Krimi – man denke an Holmes Ausführungen über die Deduktion in
Im Zeichen der Vier, – werden gar nicht erst erwähnt.
Zu Recht allerdings lässt Nusser vieles aus der Thrillerliteratur unerwähnt.
Jurassic Parc dürfte eher der Science Fiction zuzurechnen sein,
Das Schweigen der Lämmer dem psychologisch ambitionierten Schauerroman und manche Thriller sind sehr eindeutig Horrorromane (etwa
Das Relikt von Douglas und Lincoln). Zudem scheint das Genre Thriller heute sowieso verkaufsfördernd zu sein, zumindest in Deutschland, weshalb man diese Bezeichnung recht wahllos auf zahllosen Büchern draufgepappt findet. Dieses Phänomen gehört aber kaum in den Bereich der Literaturwissenschaft, sondern eher der Marktpsychologie.
Nussers Buch bietet somit Analysen von Klassikern, die weitere Analysen anleiten können. Insgesamt ist der Überblick gut und die Sprache allgemein verständlich. Genauere wissenschaftliche Methoden zum Umgang mit literarischen Analysen fehlen allerdings, ebenso eine noch differenziertere Betrachtung der vom Krimi genutzten Textformen. Dies wurde oben schon unter dem Stichpunkt Argumentation in Krimis erwähnt. Ebenso kann man für Krimis und Thriller typische Szenen herausarbeiten, die immer wieder genutzt werden. So bestehen Detektivgeschichten vorwiegend aus drei sehr üblichen Szenen, in denen erstens Spuren gefunden und interpretiert werden, zweitens Tathergänge erschlossen und drittens Motive ermittelt werden. Diese Szenen liegen selten in Reinform vor, doch gibt es hier oft eine deutliche sachliche (= Spuren), zeitliche (= Tathergänge) und soziale (= Motive) Polarität. Dieser eigentlich augenfällige Gedanke wird aber allgemein in der Literaturwissenschaft kaum verfolgt, obwohl gerade hier Schreibratgeber gerne ansetzen. Damit zeigt sich auch eine weitere Lücke, nämlich der zwischen unwissenschaftlich betriebenen produktionsästhetischen Ansätzen in der Ratgeberliteratur und den rezeptionsästhetischen Ansätzen in der Literaturwissenschaft.
Man mag sich darüber streiten, ob eine Einführung in die Genres von Krimi und Thriller all dies leisten muss. Und sicherlich zielt hier die Kritik über dieses gut lesbare und in vielen Aspekten grundlegende Buch hinaus. Hier ist nicht nur ein einzelner Wissenschaftler gefordert, sondern die Literaturwissenschaft insgesamt.
Deshalb muss man dem Buch – mit den genannten Einschränkungen - zugestehen, dass es im Wesentlichen hervorragend ist. Für Literaturwissenschaftler, die sich mit Unterhaltungsliteratur beschäftigen, ist es das Standardwerk für dieses Genre. Für Schriftsteller bildet es eine notwendige Ergänzung zu Schreibratgebern und für Krimi- und Thrillerleser bietet es Aufklärung und wesentliche Hintergründe.
Summa summarum also ein sehr empfehlenswertes Buch.