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Seit sich das Medieninteresse in der Politik wie auch in anderen Bereichen auf einzelne Personen konzentriert, wird die bundesdeutsche Legislative in der Öffentlichkeit fast ausschließlich über die Mitglieder der Regierung wahrgenommen. Dass hinter diesen die direkt gewählten Fraktionen des Bundestags stehen, bleibt beinahe verborgen. Dennoch, und dies zeigt das von dem renommierten Politologen und Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz herausgegebene Buch "Die Fraktion als Machtfaktor" anhand der CDU/CSU-Fraktion des Bundestags, haben die Regierungsfraktionen und insbesondere die jeweilige Kanzlerfraktion seit Bestehen der Bundesrepublik zu allen Zeiten viel bewegt – nicht zuletzt Kanzlerstürze.
Das Werk setzt sich aus zwölf Beiträgen zusammen, die sich zum Teil mit Epochen der CDU/CSU-Fraktionsgeschichte befassen, zum Teil mit Inhalten, etwa der Auseinandersetzung zwischen den so genannten Atlantikern und Gaullisten in der Ära Adenauer. Die Reihenfolge der Kapitel lehnt sich an die Chronologie an.
Zu den untersuchten Epochen gehören die Entwicklung der CDU/CSU-Fraktion während Adenauers Regierungszeit, die erste Große Koalition, Helmut Kohls Weg "nach oben" und sein Durchhalten dort von 1976 bis 1982, die Fraktion unter den Vorsitzenden Dregger und anschließend Schäuble sowie während der zweiten Oppositionszeit 1998-2005 und schließlich in der zweiten Großen Koalition. Eher punktuell ausgerichtet sind die Beiträge zu den beiden Kanzlerstürzen – Adenauer und Erhard -, die erwähnten Spannungen zwischen Atlantikern und Gaullisten, also Befürwortern einer engen Zusammenarbeit mit den USA und jenen, die für einen Schulterschluss mit Frankreich und Kontinentaleuropa plädierten, die Haltung der CDU/CSU-Fraktion zur Ostpolitik, die Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU selbst und eine Betrachtung zur Fraktion als Machtfaktor.
Auf das Nachwort folgt ein umfangreicher, für den Leser sehr nützlicher Anhang.
Sowohl jüngere Leser als auch jene, die sechzig Jahre Bundesrepublik (und Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU) bewusst miterlebt haben, erhalten mit diesem Buch interessante und informative Lektüre, vermag es doch zu schildern, wie die Legislative auf Bundesebene funktioniert, wobei es zu einem guten Teil um das Zusammenspiel oder bisweilen auch den Antagonismus zwischen Kanzler und Kanzlerfraktion geht, nicht zuletzt auch um einzelne Persönlichkeiten aus der Fraktion, denen ein Ministeramt verwehrt blieb, die aber Impulse und Konfliktstoff einbrachten, zum Beispiel Friedrich Merz. Die politische Geschichte von Fraktionsgrößen wie Barzel, Schröder, Strauß, Dregger und Schäuble wird untersucht, und der Leser erfährt, wie es zum Aufstieg und Fall dieser Personen kam, wobei der Aufstieg meist etwas kurz kommt.
Gut nachvollziehen lässt sich die Abfolge von Epochen großen und geringeren fraktionellen Einflusses auf den jeweiligen Kanzler. Geschickte Manöver wie beispielsweise von Kohl, der schon lange vor seinem Amtsantritt als Kanzler Schlüsselpositionen in der Fraktion mit "seinen" Leuten besetzt hatte, und die fast immer höchst angespannte Beziehung zwischen den "Schwestern" CDU und CSU, in deren Kontext auch die Kanzler-Kandidatur von Strauß und Stoiber betrachtet wird, werden transparent. Der Leser begreift, wie Phasen heftiger "Flügelkämpfe" und eine zumindest vordergründige Einigkeit der Fraktion zustande kommen, die als Teil einer klassischen Volkspartei vor allem in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens eine ausgesprochen heterogene Zusammensetzung aufwies.
Die Autoren legen Wert auf Objektivität; das Buch soll sicher nicht als Wahlwerbung für CDU und CSU verstanden werden, auch wenn der konservative Tenor unübersehbar bleibt und zum Beispiel die Spendenaffäre recht knapp abgearbeitet wird (die freilich auch nicht unmittelbar mit dem Thema des Buchs zu tun hat).
Zwar stammen die Beiträge von einer ganzen Reihe von Autoren, darunter mehrfach auch der Herausgeber selbst, das Buch wirkt jedoch ausgesprochen homogen, ohne Brüche. Es geht inhaltlich beträchtlich in die Tiefe, sodass es sich für alle in der Politik Aktiven als lehrreiche und interessante Lektüre eignet, ist dabei jedoch allgemeinverständlich gehalten und, was auch am dynamischen, oft turbulenten "Fraktionsleben" selbst liegen dürfte, durchaus sehr kurzweilig zu lesen. Daher wendet es sich an ein breites, politisch und zeitgeschichtlich interessiertes Publikum. Ergiebige, so lehrreiche wie spannende Lektüre – nicht nur unmittelbar vor der Bundestagswahl!