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Eine einfache Bäuerin aus einem abgelegenen, bitterarmen chinesischen Dorf des Jahres 2012 behauptet, sie habe am Himmel eine Metallscheibe gesehen, sei in Ohnmacht gefallen und habe, wieder zu sich kommend, in ihrer Nähe einen verletzten blonden Weißen entdeckt. Zusammen mit ein paar Dorfkindern habe sie ihn, was freilich in China nicht erlaubt ist, in ihr Haus gebracht und seine Wunde, einen Schlangenbiss, versorgt. Als sie nach kurzer Abwesenheit zurückgekehrt sei, habe sie ihn nicht mehr vorgefunden.
Der Vorfall, ordnungsgemäß der Ortsvorsteherin gemeldet, zieht weite Kreise. Nicht nur wird die Bäuerin, Analphabetin und Außenseiterin, plötzlich zu einer zentralen Figur im Dorf, hat sie doch ganz offensichtlich ein UFO gesehen und dann noch ordnungswidrig einen Ausländer, freilich in bester Absicht, beherbergt – die eintreffenden Geheimagenten, der persönliche und politische Ehrgeiz einiger Personen, die Mühlen der Bürokratie, die nun den Mahlbetrieb aufnehmen, und eine Reihe unvorhergesehener Ereignisse setzen eine Kette von Entwicklungen in Gang, die das Dorf schließlich zu verschlingen drohen. Das Tempo beschleunigt sich exzessiv, als der Fremde, ein US-Amerikaner, wie sich zeigt, aus seiner Heimat als Dankeschön zweitausend Dollar schickt.
Im unverhofft prosperierenden Dorf bleibt nichts, wie es war. Letztlich gibt es jedoch fast nur Verlierer. Insbesondere gerät die naive, unschuldige Frau, die das UFO gesehen zu haben glaubt, in einen Sog, dem sie nichts entgegenzusetzen hat. Es kommt, wie es kommen muss: Die Lage eskaliert.
Aufgemacht ist der Roman wie ein Polizeibericht, Akte folgt auf Akte, ergänzt von ein paar Dokumenten. Von Anfang an hört man den Amtsschimmel kräftig wiehern, so wie man es wohl in jedem Land erwarten würde, denn an steifer, staubiger Bürokratie mangelt es unter anderem auch den deutschsprachigen Ländern nicht. Reizvoll für den westlichen Leser ist natürlich die Parodie auf die chinesische Amtlichkeit, auf absurde Verordnungen, etwa, dass die Bäuerin Kwok Yun gesetzeswidrig handelt, wenn sie einem Fremden bei sich zu Hause Erste Hilfe leistet, die gegenseitige Anschwärzung der beteiligten Agenten bei ihren Vorgesetzten, der völlig absurde Fünfjahresplan der Ortsvorsteherin, der das Dorf in eine blühende Industriestadt nach dem Vorbild der großen chinesischen Metropolen verwandeln soll – und wird! – und dessen katastrophale Auswirkungen auf das eigentlich intakte, wenn auch arme Gemeinwesen sowie die allgegenwärtige Konfrontation mit der chinesischen Geschichte samt hausgemachten Hungersnöten.
Hinter dem pechschwarzen Humor, der den Roman würzt, ahnt der Leser auch eine gewisse Traurigkeit. So richtig lachen kann man bei der Lektüre nicht, das Lachen bleibt im Hals stecken, denn der Realitätsbezug bleibt evident. Und der Umstand, dass die Autorin diese Geschichte in die Jahre 2012 bis 2015 verlegt hat, zeigt auf, dass sie wenig Hoffnung auf Besserung sieht.
Die Charaktere der bedeutendsten Personen im Dorf werden, freilich aus Sicht anderer Dorfbewohner und durch den erwähnten Amtsschimmel gefiltert, lebendig und herrlich originell dargestellt. Amüsant sind sie und tragisch, und nicht nur die Älteren werden von den lawinenartig hereinbrechenden Ereignissen und Entwicklungen zum Straucheln oder gar zu Fall gebracht.
"Ein Ufo, dachte sie" kann man als Satire auf das moderne China oder auf den Fortschritt generell auffassen, auf Bürokratie und blinden Ehrgeiz, auf die Ohnmacht des Einzelnen in einer sich rasant bewegenden Gesellschaft. Mit Witz und Biss zeigt die Autorin auf, wie Bürokratie, Amtseifer und blinder Ehrgeiz aus einer Mücke einen Elefanten machen können, einen ziemlich wilden und unbeherrschbaren Elefanten. Eine zugleich amüsante und tiefgründige Lektüre!
Link zum Interview mit Xiaolu Guo